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Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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weitergehen sollte. In jenen kostbaren Stunden hatte Lucas die aus seiner Sicht naheliegendste Lösung vorgeschlagen: »Auf der Suche nach seiner Mutter und dem Leichnam seines Vaters verschwindet der Architectulus für alle Zeiten. Seine Base Xenia kehrt aus England zurück, und ich werde sie heiraten, ganz gleich, was mein Vater dazu sagt.«
    »Xenia?«
    »Ist es so schlimm, deinen Namen zu ändern? Ich mag Xenia; du weißt, wie sehr ich sie liebe.«
    »Du liebst also eine Fremde?«
    »Der Name hat auch noch eine andere Bedeutung.«
    »Gast«, versetzte Ezra scharf. »Willst du, dass ich auf ewig dein Gast bleibe? Und eine Fremde?«
    »Es ist doch nur ein Name!«
    »Nein. Es wäre mein neues Leben. Ich mag mein altes, Lucas, ich mag meine Arbeit. Die ich als Xenia nicht weiterführen könnte. Ich möchte diese Kuppel bauen. Mit dir und deinem Vater. Wir werden es schaffen.«
    »Und wie?«
    »Das wird mein Vater mir verraten.«
    Betreten hatte Lucas mit einer Hand die graue Decke aus Ziegenhaar über dem Grab glatt gestrichen.
    »Es schneit«, hatte er dabei überrascht festgestellt.
    »Die Zimmerleute sollen so schnell wie möglich ein Holzdach anfertigen«, hatte Ezra darauf erwidert und war aufgesprungen, um sich anzukleiden. »Damit wir im Winter wenigstens den Innenausbau vorantreiben können. Während wir weiter darüber nachdenken, wie das Lehrgerüst für die Kuppel aussehen soll. Eine ganz einfache Lösung, hat mein Vater gesagt; die müsste uns doch auch einfallen! Derzeit ist mein Vater gewiss mit weitaus Wichtigerem beschäftigt, aber er wird uns nicht im Stich lassen, da bin ich mir sicher.«
    Dein Vater ist tot , hatte Lucas sagen wollen, aber die Worte nicht über die Lippen gebracht. Aus Ezra würde nie eine Xenia werden, die als seine Ehefrau den Fortgang der Arbeiten beobachtete, kommentierte und ansonsten wie die anderen Frauen am Hof auf ihren Putz und den angemessenen Umgang bedacht sein würde. Ezra war nicht nur Teil des gewaltigen Baus; ihre Sandzeichnung hatte ihm die Grundlage verschafft. Sie durfte nicht im Hintergrund verschwinden. Wenn sie also glaubte, ihr Vater könne ihr über den Tod hinaus mitteilen, wie diese Kuppel zu wölben war, dann blieb auch Lucas nur die Hoffnung, der Funke der Genialität des Iosefos würde auf seine Tochter überspringen.
    Monate verstrichen. Die Räume des Sechzehnecks wurden mit einer sehr feinkörnigen hellroten Mörtelmasse verputzt. Allerdings blieben dabei die acht mächtigen Pfeiler ausgespart. Weil deren Stein sichtbar sein sollte, hatte Iosefos bei ihrer Errichtung auf besonders saubere Maurerarbeit bestanden. Ezra hatte bereits erste Skizzen für die Gewölbezeichnungen in Angriff genommen; die Annexbauten auf der Nord-, Ost- und Südseite wuchsen in die Höhe. Die Kaiserloge im Obergeschoss war fertig; nur der Marmorthron musste noch zusammengesetzt werden. Im Juli waren die antiken Säulen aus Rom, Ravenna sowie einige aus der Kölner Kirche St. Gereon in die Arkaden des Oktogons genau so eingesetzt worden, wie es Ezra drei Jahre zuvor in ihrer Sandzeichnung vorausgesehen hatte. Acht besonders schmuckvoll gestaltete Bronzegitter sollten auf den oberen Galerieöffnungen vor die unteren Säulen gestellt werden. Alboin sann bereits darüber nach, wie seine Leute die Sandformen für solch feine Arbeiten befestigen könnten; vielleicht doppelstöckig, um jeweils zwei sich einander ähnelnde herzustellen? Danach sollten die Bronzetüren gegossen werden. Der langobardische Sachse, der mittlerweile mehr als hundert Gießer und Schmiede zur Arbeit antrieb und die Anfertigung der feineren Werkstücke selbst überwachte, kehrte nur noch zum Schlafen zu Maria zurück, die einst Heda geheißen und jetzt drei Kinder zu versorgen hatte. Es war ein großes Glück für den König, dass Alboin keine Zeit fand, sich in Schenken aufzuhalten. Denn dort wäre ihm sicher zu Ohren gekommen, welch großes Leid sein höchster Auftraggeber derzeit in seiner alten Heimat verursachte. Sein Zorn wäre übermächtig gewesen. Vermutlich hätte er die Eisenringe eigenhändig aus ihrer Verankerung geschlagen und den Bau zum Einsturz gebracht. Doch Alboin blieb ahnungslos, und so schritten in des Königs Abwesenheit die Arbeiten an seiner Kirche gehörig voran.
    Im Oktogon unter dem vorläufigen Zeltdach aus Holz tat sich allerdings nichts mehr, nachdem helle und dunkle Bodenplatten aus Basalt und Blaustein in den Estrichmörtel eingesetzt worden waren. Lucas hatte zunächst

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