Die Gabe des Commissario Ricciardi
hat oder jemand seinen Hund vermisst oder dass zwei junge Leute endlich heiraten. Dabei singt und tanzt er und ist so angezogen wie jetzt, damit die Leute auf ihn aufmerksam werden.
Livia sah aus einer Tür vier schwarz gekleidete Frauen herauskommen; sie hörten dem Mann aufmerksam zu, lachten und gingen wieder hinein. An der Wohnungstür war ein schwarzes Band befestigt. Dem Fahrer entging der Blick der Signora nicht.
– Dem Pazzariello widersteht niemand: Sogar wer Totenwache hält, geht hinaus und hört, was er mitzuteilen hat.
Das war die Stadt, in die Livia sich gerade immer mehr verliebte. Die Stadt, in der sie nach und nach ihre Lebensfreude wiedergefunden hatte.
Immer noch erhielt sie Telefonanrufe, in denen ihre römi
schen Freundinnen sie zur Rückkehr in die Hauptstadt zu überreden suchten. Bei ihrer Abreise vor vier Monaten hatte sie gesagt, sie wolle ein paar Tage ans Meer fahren; sie war nicht wieder zurückgekehrt.
Wenn sie jetzt an das gesellschaftliche Leben dachte, das sie jahrelang in Rom geführt hatte, erschien es ihr unerträglich: die Falschheit der Leute, der Klatsch, all das boshafte Gerede. Ein pausenloser Wettstreit um die Gunst der neuen Machthaber, eine Haltung, die ihr von Natur aus fremd war. Gerade dieses Desinteresse und ihre Aufrichtigkeit hatten ihr die Freundschaft der aufmüpfigen Tochter des Duce eingetragen, einer jungen Frau, hinter deren scheinbarer Angriffslust und männlichem Gehabe sich eine sehr empfindsame Gefühlswelt verbarg.
Eddas Anrufe schätzte Livia sehr, aber auch ihr war es nicht gelungen, sie umzustimmen: Sie wollte nicht mehr nach Rom zurück. Und weil es sie amüsierte, dass alle unbedingt herausfinden wollten, warum sie die bezauberndste Protagonistin des geselligen römischen Lebens verloren hatten, sagte sie es niemandem.
Nachdem er sich hupend einen Weg durch das Heer von Bettlern und fliegenden Händlern gebahnt hatte, fuhr Livias Wagen in den Hof des Präsidiums ein. Die Wache am Eingang grüßte ehrerbietig und Livia nickte kurz; man kannte sie hier schon.
Ohne dem Fahrer zu bedeuten, dass sie aussteigen wolle, begann sie, leise zu zählen. Als sie bei acht angelangt war, stolperte Garzo atemlos und ohne Mantel aus der Tür, die zu den Büros führte.
– Signora, wie schön, dass Sie uns mit Ihrem Besuch beeh
ren! Sie leuchten wie die helle Sonne an diesem tristen Tag, es ist mir eine Freude, Sie bei uns zu empfangen.
Livia legte ihre Hand auf den ihr dargebotenen Arm.
– Die Freude ist auf ganz auf meiner Seite, besonders bei solch einem galanten Empfang. Aber was sehe ich? Sie haben sich einen Schnurrbart stehen lassen! Er steht Ihnen wirklich sehr gut.
Garzo schien verlegen.
– Wissen Sie, Signora, mit fortschreitendem Alter schadet es nicht, etwas mehr Autorität auszustrahlen, finden Sie nicht auch?
Livia lachte.
– Sie legen viel Wert auf Autorität, hab' ich recht?
– Sicher, unbedingt. Es ist gar nicht so leicht, manchen meiner Jungs hier den Kopf zurechtzurücken. Eben sprach ich noch darüber mit Ihrem Freund Ricciardi und dem Brigadiere.
Sofort wurde Livia ernst.
– Oh, gibt es Schwierigkeiten? Er wollte ja schon so kurz nach dem Unfall wieder zur Arbeit und lässt sich von niemandem etwas sagen.
– Ja, ein echter Dickschädel, wie's bei uns heißt. Und zwar in jeder Hinsicht. Leider werden Sie ihn nicht vorfinden, er ist eben mit Maione weggegangen. Gerade ermittelt er in einem etwas heiklen Fall. Wie Sie sicherlich Gelegenheit haben werden, in Rom zu berichten, falls das Thema zur Sprache kommt, gehen wir sehr sorgfältig mit allem um, das mit Parteimitgliedern zu tun hat.
Durch die Enttäuschung über Ricciardis Abwesenheit hatte Livias Laune sich so plötzlich verschlechtert, dass sie Garzo nicht zugehört hatte.
– Ach ja, verstehe. Dann seien Sie doch bitte so freundlich und teilen ihm mit, dass … oder nein, sagen Sie ihm nichts. Vielleicht komme ich später wieder.
Garzo setzte sein unwiderstehlichstes Lächeln auf.
– Gerne doch, Signora. Er wird sicher sehr glücklich darüber sein.
Als sie mit dem Auto erneut durch die volle Stadt fuhr, fand Livia zurück zu ihrer guten Laune. Sie überlegte, dass der wahre Grund, warum sie hergezogen war, in jenem Mann mit den meergrünen, traurigen Augen zu suchen sei, den sie vor zwei Monaten endlich in den Armen halten durfte.
Was ihre römischen Freundinnen wohl dazu sagen würden, wenn sie es wüssten?
XIII
Während auf den Straßen ein wirres
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