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Die Gabe des Commissario Ricciardi

Die Gabe des Commissario Ricciardi

Titel: Die Gabe des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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ungeduldigen Handzeichen. Er hatte das unangenehme Gefühl, erneut besiegt worden zu sein, ohne genau zu wissen, in welcher Art von Wettbewerb.
    Beim Hinausgehen trat Maione Ponte wie zufällig auf den Fuß. Dem Amtsdiener entfuhr kein Laut der Klage.

XI
    Ich hab' mich entschieden: Dieses Jahr mache ich noch einen Hügel.
    Ich setze ihn hierher, neben den anderen. Dort können dann Felder und Wiesen sein, eine Schafherde, ein paar beleuchtete Häuschen. Die Kinder mögen Schafe und Hirten.
    Vielleicht wird er nicht ganz so dicht besiedelt sein wie der andere, aber das ist unwichtig. Im Grunde ist's in der Stadt genauso: In manchen Teilen leben mehr Leute, in anderen weniger.
    Ich muss nicht mal einen neuen Unterbau aus Holzbrettchen machen, ein dickeres Stück Kork wird's auch tun, etwas Moos für die Wiese, ein paar Bäumchen aus Draht. Der Kork ist hier. Ich muss ein Rechteck daraus ausschneiden, das ich dann festnagele.
    Das Messer hab' ich schon in der Hand. Es erinnert mich an die beiden.
    Fleisch ist nicht wie Kork: ganz leicht zu durchtrennen, es reicht ein entschlossener Stich. Das Problem besteht im Entschluss.
    Jetzt weiß ich, wie es funktioniert. Man setzt das Messer an und drückt zu.
    Das Fleisch gibt der Messerspitze nach, weil es elastisch ist; es sinkt ein wenig ein.
    Doch dann reißt es.
    Von diesem Moment an gibt es kein Zurück mehr.

XII
    Maione schäumte vor Wut.
– Dieser dämliche Hanswurst. Will uns beibringen, wie wir zu arbeiten haben! Was denkt der sich eigentlich? Wenn ich die beiden nur sehe, ihn und Ponte, diese Witzfigur! Weiß Gott, eines Tages knöpf' ich mir sie vor und verpass' ihnen eine Backpfeife, dass ihnen Hören und Sehen vergeht. Garzo glaubt wohl, er braucht sich bloß drei Haare im Gesicht wachsen zu lassen, um kein Armleuchter mehr zu sein.
    Ricciardi, in den alten Ledersessel hinter seinem Schreibtisch versunken, spielte nachdenklich mit dem Granatsplitter, der ihm als Briefbeschwerer diente.
    – Und doch ist der gute alte Garzo uns noch nie zuvor so nützlich gewesen. Wir haben von ihm wichtige Hinweise erhalten.
    Maione war nicht gewillt, sich zu beruhigen.
    – Von dem kann gar nichts Nützliches kommen, weil er selbst schon zu nix zu gebrauchen ist. Wissen Sie, was Antonelli zufällig in der Telefonzentrale mitgehört hat? Nämlich wie Garzo zu seiner Frau am Telefon sagte: Um Verbrecher zu schnappen, muss Ricciardi sie wohl oder übel verstehen. Also ist er auch ein Krimineller. Das ist seine Begründung dafür, dass er nicht die Bohne versteht!
    – Überleg doch mal, Raffaele. Die Leichen sind noch warm und schon gerät der Parteiapparat in Bewegung. Garzo unternimmt nie etwas, wenn er nicht dazu aufgefordert wird. Warum also hat die Miliz sich gleich eingeschaltet? Ich bin sicher, dass der Spaziergang, den wir demnächst zu Garofalos früherer Kaserne unternehmen, ein paar interessante Informationen zutage fördern wird.
    Maione kratzte sich am Kopf.
    – Meinen Sie? Dann ist's besser, wir machen den Spaziergang sofort. Sie sagen doch immer, dass die ersten Stunden die wichtigsten sind, nicht?

    Livia Lucani, verwitwete Vezzi, genoss die weihnachtliche Stimmung in ihrer neuen Stadt.
    All die besonderen Eigenschaften, die Neapel so einzigartig und interessant machten, vervielfachten sich in der Vorweihnachtszeit: die Rufe der fliegenden Händler am frühen Morgen, das Durcheinander auf der Straße, die Lieder. Und erst die Gerüche, überall kochte, brodelte und briet es, und die Konditoreien überboten sich gegenseitig mit immer neuen Leckereien. Jeder erfand sich flugs ein kleines Geschäft, versuchte, ein bisschen Geld zu verdienen.
    Livia gewann den Eindruck einer allgemeinen Heiterkeit mit einem Hauch von Traurigkeit. Als ob die Bewohner dieses sonderbaren Ortes damit sagen wollten: Es ist schwer, sehr schwer, aber wir schaffen es trotzdem.
    Am Tag zuvor hatte sie aus dem Autofenster eine seltsame Gestalt entdeckt: Sie trug einen Zweispitz, einen langen Überrock, etliche längere und kürzere Ketten, falsche Medaillen und einen farbigen Stock mit einer Schelle. In dieser Aufmachung bewegte sie sich auf merkwürdige Art hüpfend vorwärts, gefolgt von der üblichen Schar barfüßiger Kinder, und rief etwas, das Livia nicht hören konnte.
    Als sie den Fahrer gefragt hatte, wer die Person sei, hatte er lachend geantwortet:
    – Der Pazzariello, Signora, eine Art wandelnde Zeitung. Er zieht durchs Viertel, um bekanntzugeben, dass ein neues Geschäft eröffnet

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