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Die Gabe des Commissario Ricciardi

Die Gabe des Commissario Ricciardi

Titel: Die Gabe des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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schnell es ging. Der Kommissar glaubte die stummen Flüche des Brigadiere zu vernehmen, der bei jeder Stufe kurzatmiger wurde. Auf der Treppe herrschte ein reges Kommen und Gehen von Soldaten, die alle mit dem gleichen Enthusiasmus auf und ab rannten. Ricciardi hegte den boshaften Wunsch, einer von ihnen möge in seinem Eifer ins Stolpern geraten und bis ins Erdgeschoss purzeln. Er hätte aus eigener Tasche dafür gezahlt, ein derartiges Spektakel zu erleben.
    Ihr Begleiter blieb schlagartig vor einer hohen, dunklen Holztür stehen. Sie wurde von einem Amtsgehilfen bewacht, der in der Nähe eines Schreibtisches strammstand. Es war kein Stuhl zu sehen. Der Kommandant klopfte ein einziges Mal an und führte sie hinein.
    Sie betraten ein riesiges Büro. Das Dekor des Marmorbodens bestand einzig aus dem geometrischen Muster kleiner Fliesen in unterschiedlichen Farbtönen. An einer Wand hing ein großes Gemälde, das den Hafen von Neapel im Mittelalter darstellte, gegenüber eine sehr große Fotografie des Duce bei der Einweihung der Kaserne. Hinter dem Schreibtisch aus massivem, wertvollem Holz befanden sich die offiziellen Porträts des Regierungschefs und des Königs. In einer Ecke nahe dem breiten Fenster zum Balkon hielt ein goldener Speer mit Metallspitze die Handelsflagge.
    Nirgendwo war ein Kreuz zu sehen. Hier drinnen, dachte Ricciardi, wird nur ein einziger Gott verehrt. Überrascht und ein wenig beunruhigt stellte er jedoch fest, dass hinter dem geöffneten Vorhang halb versteckt ein Bild des heiligen Sebastian hing, ähnlich dem, das er aus seinem Internat kannte und an das ihn tags zuvor Garofalos Leiche erinnert hatte.
    Aus dem anderen Ende des Raumes kam ihnen ein Offizier entgegen. Der Unteroffizier, der sie begleitet hatte, schlug nahezu synchron zum römischen Gruß – seine behandschuhte Hand zerschnitt mit einem leisen Zischen die Luft – die Hacken zusammen. Der Offizier erwiderte zerstreut den Gruß, dann wandte er sich an Ricciardi und Maione:
    – Bitte, setzen Sie sich. Ich bin Konsul Freda di Scanziano, Oberbefehlshaber der zweiten Legion der Hafenmiliz. Danke, Precchia, Sie können gehen.
    – Jawohl, Herr Konsul. Ich bin draußen vor der Tür, falls Sie mich brauchen sollten.
    Erneutes Hackenzusammenschlagen, Hand zum Gruß, Hacken, kehrt und raus. Aus dem hätte ein erstklassiger Tangotänzer werden können, dachte Maione.
    Der Konsul wirkte wie ein Filmschauspieler: Er hätte gut in die Rolle des Großherzogs gepasst oder in die des Vaters der reichen Adligen, die sich in einen treuen Habenichts verliebt. Unter dem Fes mit Rutenbündel, Anker und Krone verrieten seine Augen Neugier und Intelligenz.
    Die graugrüne Uniform des Mannes mit quer verlaufender blauer Schärpe wurde von einem Dutzend Medaillen geschmückt.
    – Nun, meine Herren, was kann ich für Sie tun?
    Ricciardi und Maione fühlten sich überrumpelt. Sie waren
darauf gefasst gewesen, verschiedene Grade von Unteroffizieren und Offizieren überwinden zu müssen und auf eine Mauer aus Schweigen und Phrasen zu stoßen. Ganz sicher hatten sie nicht damit gerechnet, sofort empfangen zu werden, auch noch direkt vom Konsul und Oberbefehlshaber der Legion.
    Maione kam zuerst wieder zu sich.
    – Herr Konsul, vielen Dank, dass Sie uns empfangen. Ich bin Brigadiere Maione vom königlichen Polizeipräsidium, mobiles Einsatzkommando, und das ist mein Vorgesetzter, Commissario Ricciardi. Wir sind gekommen, um …
    Der Konsul unterbrach ihn:
    – Ich weiß schon, Brigadiere. Leider weiß ich, warum Sie hier sind. Und ich möchte Ihnen bereits jetzt danken für alles, was Sie tun werden, um die feigen Mörder, die dieses arme Kind zur Waise gemacht haben, der Justiz zu überantworten.
    Ricciardi studierte das Gesicht des Funktionärs, um herauszufinden, welche Absicht er verfolgte, doch er sah darin nur das, was seine Worte ausgedrückt hatten.
    – Deshalb sind wir hier. Sie werden verstehen, dass die Aufgabe, die Garofalo … Zenturio Garofalo erfüllte, also seine Arbeit der Grund gewesen sein könnte, vielmehr aller Wahrscheinlichkeit nach der Grund dafür war, dass er und seine Frau auf so barbarische Weise getötet wurden. Deswegen fangen wir hier an. Uns nutzen alle Informationen, die wir über ihn bekommen können: die Kollegen, seine letzten Unternehmungen, eventuelle Streitfälle oder Drohungen. Alles.
    Freda nickte. Dann aber stand er unerwartet auf und ging mit hinter dem Rücken verschränkten Händen zu dem langen Balkon, von

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