Die Gabe des Commissario Ricciardi
und hatte stattdessen den Rennwagen eines kurzsichtigen Fahrers erwischt. So was kommt vor, dachte Ricciardi.
Der Junge mit dem schiefen Lächeln sagte: Frohe Weihnachten, frohes Fest, der Herr. Ein bisschen Kleingeld bitte für ein Lied auf meiner Drehorgel! Für Ricciardi sah es nun so aus, als ob er Kunden für die alte Frau anlockte, er selbst brauchte ja keine mehr. Dem Kommissar wäre es allerdings lieber gewesen, es wäre umgekehrt und der Kleine mit den Frostbeulen an den Händen würde noch seine Drehorgel spielen. Zerstreut fasste er sich an seine eigene Wunde, die immer mehr verheilte.
– Tut's weh? Selber schuld. Nächstes Mal hörst du auf mich und bleibst im Bett liegen, bis alles heil ist, bevor du rumläufst und anständigen Leuten auf den Wecker fällst, – sagte Doktor Modo. Dann ließ er sich wie ein Mehlsack auf den zweiten Sessel am Tisch fallen.
Der Arzt zog Hut und Handschuhe aus und rieb sich die Hände, um sie aufzuwärmen.
– Nein, es tut nicht weh, juckt höchstens ein bisschen. Mein Arzt ist wirklich tüchtig, weißt du, nur war ich kurzfristig außerstande, ihm zuzuhören. Ich hab' also das Beste bekommen, ohne das Schlimmste ertragen zu müssen: sein Geschwätz.
– Ach, und ich dachte, du unterhältst dich glänzend mit mir!
Ricciardi verzog das Gesicht wie im Schmerz.
– Klar. So glänzend, dass ich nicht mal sonntags ohne dich auskomme, wie du siehst.
Modo versuchte, den Kellner auf sich aufmerksam zu machen.
– Dein Anruf eben hat mich ziemlich gekränkt. Erstens weil du, obwohl Sonntag ist, davon ausgegangen bist, dass ich arbeite; und zweitens, weil du damit recht hattest.
– Tja, Bruno, leider bin ich der Letzte, der dir etwas über Freizeitvergnügungen beibringen kann. Aber du weißt ja, wie entscheidend die ersten Stunden und Tage nach einem Mord für das Sammeln von Informationen sind.
Modo lachte.
– Nette Ausrede, um nicht zugeben zu müssen, dass man nichts mit seinem freien Sonntag anzufangen weiß. Gut, ich beschwere mich ja nicht: Immerhin kriege ich ein kostenloses Mittagessen, was nur recht und billig sein kann für einen armen, mittellosen Arzt. Und du – steinreich und geizig, wie du angeblich bist – wirst bezahlen müssen.
Nun lachte auch Ricciardi:
– Weder steinreich, zumindest glaub' ich das nicht und es wär mir auch egal, noch geizig. Aber das subtile Vergnügen, mit dir zu Mittag zu essen, zeigt, wie gerne ich leide. Na los, lass uns bestellen, es wird spät und ich hab' noch eine andere Verabredung an diesem langen Sonn- und Arbeitstag.
Aus den Augenwinkeln sah Ricciardi den Hund, der sich draußen in der Nähe der Bettlerin niederließ. Er legte sich dicht an die Mauer, wo er vor Wind geschützt war, und zwar so, dass er den Eingang des Cafés im Blick hatte. Sein weiß-braun geschecktes Fell schien glänzender als sonst.
– Ich hab' ihn waschen lassen, – sagte Modo, dem Blick des Kommissars folgend. – Will mir nichts einfangen, wenn er mal ins Haus kommt. Schließlich bin ich immer noch Arzt.
– Das hätte ich nicht gedacht. Du hast ihn also adoptiert. Modo, der Hundebesitzer.
Modo lachte.
– Du kennst ihn nicht. Er ist kein Hund, den man besitzen kann; er sucht sich selbst aus, bei wem er bleiben möchte. Wir führen eine offene Beziehung, ohne Verpflichtungen, weder für ihn noch für mich. Du kannst es zwar nicht wissen, mein einsamer Freund, aber so ist jede große Liebe: frei von Ketten und Riegeln.
Als sie fertig waren, hatte die Menschenmenge auf der Straße sich gelichtet, auch weil inzwischen ein eiskalter dichter Nieselregen herabfiel. Die alte Bettlerin hatte sich schwerfällig erhoben und Zuflucht in einem Hauseingang gesucht. Ricciardi sah den kleinen Jungen, der als Einziger trocken blieb, während er weiter um ein bisschen Kleingeld für ein Lied bat, das er nie mehr spielen würde.
– Also, Bruno, was hat die Autopsie der Garofalos ergeben? Hast du etwas Neues entdeckt?
Modo reckte sich und streckte die Beine unterm Tisch aus.
– Wusste ich's doch, dass ich mir mein Essen verdienen muss. Nun, sie waren recht gut in Form, die beiden. Gut genährt, in guter gesundheitlicher Verfassung, keine schlimmen
Krankheiten. Die Frau hatte drei Goldzähne, ihm fehlten ein paar, das muss schon länger her sein, nichts Besonderes. Bei dem Mann begannen die Gelenke sich ein wenig zu verhärten; hätte man ihn leben lassen, hätte er vielleicht in vier, fünf Jahren Probleme mit den Knien und Hüften bekommen. Aber
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