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Die Gabe des Commissario Ricciardi

Die Gabe des Commissario Ricciardi

Titel: Die Gabe des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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nell'oscurità
    ognuno vuol godere
    son baci di passion
    l'amor non sa tacere
    e questa è la canzon
    di mille capinere …

    … und in der Finsternis
    möchte jeder etwas davon haben
    es sind Küsse der Leidenschaft
    die Liebe kann nicht schweigen
    und dies ist das Lied
    von tausend Mönchsgrasmücken …

    – Mein abschließender Eindruck, wie du es ausdrückst, mein lieber Ritter der Finsternis, genannt Ricciardi der Fröhliche , ist, dass die Morde mit einer bestimmten Absicht begannen und dann die Leidenschaft mit ins Spiel kam, wie bei der Mönchs
grasmücke im Lied der hübschen jungen Frau, die ich nebenbei bemerkt für eine Edelnutte halte. Sie wollten für Gerechtigkeit sorgen, eine Hinrichtung nach allen Regeln vollziehen, doch dann haben alle bei der Party mitgemacht, entweder jeder mit dem eigenen Messer oder sie gaben sich dasselbe Messer weiter. So wird keiner bei einem Überfall oder im Streit umgebracht. Du und dein Freund Maione, der den Sonntag hoffentlich bei einem guten Ragù zu Hause verbringt, müsst nach jemandem suchen, dessen Motiv sehr starker Hass war. Denn der war nötig, um diesen Mord auszuführen. Für die Frau gilt das nicht; die Frau war bloß ein zu vernachlässigendes Hindernis.
    Vor Ricciardis geistigem Auge erschienen die Figur der Madonna, die auf den Esel gekippt war, und die Scherben des heiligen Josef. Auf der nun fast menschenleeren Straße starrte der verunglückte kleine Junge im Regen ins Leere und bat um ein bisschen Kleingeld für sein Lied auf der Drehorgel.
    Ein paar Meter von ihm entfernt wartete der Hund, mit einem aufgestellten und einem angelegten Ohr, zusammengerollt auf den Doktor. Sein Fell bewegte sich leicht im Wind.
    Im Café endete der Tango mit einem letzten Akkord und einem leicht verwackelten Abschluss.
    Modo fragte:
    – Spendierst du mir noch einen Kaffee?
    Draußen war es Abend geworden.

XXIV
    Maione hatte gewartet, bis es Abend wurde, und einen furchtbaren inneren Kampf ausgefochten, damit keiner bei ihm zu Hause merkte, wie es um seine Gemütsverfassung stand.
    Was Franco Massa ihm gesagt hatte, hatte auf einen Schlag den mühsam errichteten Schutzwall in sich zusammenstürzen lassen, hinter den er Schmerz und Trauer um den Tod seines Sohnes verbannt hatte.
    Jetzt erst wurde ihm klar, wie wichtig es für ihn gewesen war, den Schuldigen nach Recht und Gesetz bestraft zu wissen, um sein eigenes inneres Gleichgewicht wiederzufinden und sich in sein Schicksal zu ergeben. Maione war ein einfacher Mann, das war ihm durchaus bewusst; auf eine Tat musste seiner Meinung nach eine Reaktion folgen. Durch die Festnahme des mutmaßlichen Mörders hatte er Luca natürlich nicht wieder zum Leben erweckt, doch zumindest hatte er seine Pflicht als Polizist erfüllt.
    Er erinnerte sich noch undeutlich an das mehrtägige Gerichtsverfahren. Eigentlich hatte er gar nicht hingehen wollen, doch Lucia hatte ihn gebeten, es zu tun, da sie nicht die Kraft dazu hatte. Sie wollte nicht, dass die Leute dachten, sie hätten Luca schon vergessen. Das Ganze war ihm verworren und unwirklich vorgekommen, in den Nächten hatte er kaum geschlafen und war wie benommen gewesen.
    Er erinnerte sich an den Gerichtssaal im Castel Capuano, an den Geruch von Holz und Staub, an die Kälte im Raum, die blinden Blicke der Büsten und Statuen großer Anwälte der Vergangenheit. Er erinnerte sich an die melodische Stimme des Staatsanwalts, der forderte, an dem Angeklagten ein Exempel zu statuieren, und an das weiße, blutleere Gesicht dessen, den er damals für Lucas Mörder hielt.
    Er erinnerte sich vage daran, wie die Mutter, eine Frau, die wesentlich älter aussah, als sie war, unablässig geweint hatte und von jemandem gestützt wurde.
    Ebenso vage sah er einen Jungen vor sich, der nicht älter als Luca sein konnte, am Arm der Mutter. Er war blass, hatte helle Haut und helle Haare. Ihm fiel ein, wie er gedacht und zu Ricciardi neben ihm gesagt hatte, er verstehe nicht, wie man jemanden umbringen könne, der so sehr dem eigenen Bruder glich. Ricciardi hatte geantwortet, dass es doch im Grunde immer so sei.
    Das Gesicht, das ganz allmählich aus dem Nebel der Erinnerungen auftauchte, die er hatte auslöschen wollen, war das Gesicht von Lucas Mörder. Heute wusste er das. Hätte er es nur damals schon gewusst.
    Während er mit den Kindern spielte, Radio hörte und aß wie jeden Sonntag, nagte dieser Gedanke die ganze Zeit über an Maione. Gewöhn dich lieber daran, dachte er. Bis du wieder

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