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Die Gabe des Commissario Ricciardi

Die Gabe des Commissario Ricciardi

Titel: Die Gabe des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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alles in allem ging es ihnen gut.
    Ricciardi wartete.
    – Also als ich sie gesehen hab, waren sie ja nicht gerade putzmunter, wenn ich ehrlich bin. Was kannst du mir zu ihrem Tod sagen?
    Modo stimmte ihm zu.
    – Du hast recht, es ging ihnen nicht gut. Ich hab' Gewebe- und Organproben entnommen: Sie sind morgens gestorben, ein paar Stunden bevor man sie gefunden hat, vielleicht gegen acht, neun Uhr. Die Frau ist innerhalb kürzester Zeit verblutet, durchtrennte Halsschlagader. Wie ich mir schon nach der ersten Untersuchung gedacht hatte: ein einziger sauberer Schnitt von rechts nach links. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder war die Klinge sehr scharf oder jemand hat ihr während des Schnitts den Kopf festgehalten.
    Ricciardi hörte sehr aufmerksam zu.
    – Hast du Zeichen einer tätlichen Auseinandersetzung an ihrem Körper gefunden? Blaue Flecken, Blutergüsse, irgendwas?
    – Nein, überhaupt nichts. Das ist das Erste, wonach ich suche. Es gibt keine Zeichen, die Frau hatte nicht damit gerechnet.
    – War es ein Rechts- oder ein Linkshänder?
    Modo zuckte mit den Schultern:
    – Ich kann's nicht sagen. Dazu müsste man wissen, ob der
Täter vor ihr stand, wie ich glaube, oder hinter ihr. Vom Opfer aus gesehen geht der Schnitt von links nach rechts. Aber es gibt nichts, was auf einen Kampf hindeutet. Die Frau hat keinen Widerstand geleistet.
    Ricciardi sah im Geiste Signora Garofalo vor sich, wie sie lächelnd und aus der schrecklichen Wunde stark blutend so liebenswürdig und höflich Hut und Handschuhe? fragte. Vor ihr, dachte er bei sich. Der Mörder stand vor ihr.
    – Und ihr Mann, Bruno, was kannst du zu ihm sagen? Wie kam's zu diesen ganzen Messerstichen?
    – Das musst du schon den Mörder oder vielmehr die Mörder fragen, denn meiner Meinung nach waren dabei mehrere Personen im Spiel, ich hab's dir ja schon gesagt. Tödlich war bereits der allererste Stoß, ins Herz. Er hätte gereicht. Während der Mann starb, was höchstens ein paar Sekunden gedauert haben kann, folgten mindestens fünf weitere Stiche zwischen Brustkorb und Abdomen. Das kann ich sicher sagen, weil die Wunden geblutet haben, wenn auch nur kurz, das Herz hatte da noch nicht aufgehört zu schlagen. Die anderen sechsundzwanzig … sechsundzwanzig, hörst du … bekam er, als er schon tot war.
    Ricciardi dachte an den blutüberströmten Garofalo, der beteuerte, niemandem etwas schuldig zu sein.
    – Du bestätigst also, dass es sich deiner Ansicht nach um mehr als einen Mörder handelt?
    Der Pianist im Gambrinus ließ den Nachmittag mit einem herzzerreißenden Tango beginnen. Ein Paar erhob sich von seinem Tisch und fing an zu tanzen.
    – Ja, und ich sag dir auch warum: Der erste Messerstich war ein tiefer, fester Hieb. Es steckte Kraft dahinter. Der Mörder
hat das Messer zuerst aufgesetzt, wie beim Zielen, und es dem Opfer dann langsam und sicher ins Herz gerammt. Keine leichte Sache, weißt du; außer Entschlossenheit, wie du dir vorstellen kannst, braucht es dazu eine wirklich starke Hand, weil der Schwung fehlt, den man hat, wenn man von weiter oben zusticht. Die anderen Verletzungen sind nicht so tief und wurden dem Opfer alle von rechts nach links zugefügt.
    Ricciardi sah zerstreut den umherwirbelnden Tänzern zu. Die Frau sang leise und verzückt vor sich hin:

    … terra di sogni e di chimere
    se una chitarra suona
    cantano mille capinere
    hanno la chioma bruna
    hanno la febbre in cor
    chi va a cercar fortuna
    vi troverà l'amor …

    … Land der Träume und Trugbilder
    wenn eine Gitarre erklingt
    zwitschern tausend Mönchsgrasmücken
    ihr Gefieder ist braun
    ihr Herz ist fiebrig
    wer sein Glück sucht
    wird dort Liebe finden …

    – Woraus schließt du aber dann, dass noch eine andere Hand im Spiel war? Wenn die Richtung doch dieselbe ist …
    Modo schüttelte den Kopf.
    – Du musst mich ausreden lassen. Ich spreche jetzt von der
ersten Gruppe von Verletzungen. Außer denen gibt es noch andere, mehr als ein Dutzend, bei denen sich die Richtung ändert. Die Stiche gehen von links nach rechts, sind nicht so tief, aber heftiger. Das muss ein zweiter Arm mit neuer Kraft gewesen sein. Also jemand anderes, würde ich sagen.
    Der Doktor war sich seines Befundes sicher, und Ricciardi wusste genau, wie gewissenhaft er war. Das Bild nahm langsam Gestalt an.
    – Was ist also dein abschließender Eindruck?
    Modo verschränkte die Hände hinterm Kopf. Er folgte Ricciardis Blick, der weiter das tanzende Paar beobachtete:

    … e

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