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Die Gabe des Commissario Ricciardi

Die Gabe des Commissario Ricciardi

Titel: Die Gabe des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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Mutter eines schönen Tages vom Balkon gesprungen ist. Und Sie glauben sagen zu können, wem es schlechter und wem besser geht?
    Ricciardi änderte seinen Ton nicht.
    – Ein kleines Mädchen hat keine Eltern mehr. Eine unschuldige Frau wurde ermordet und ein Mann in seinem Bett abgeschlachtet. Wir sind die Polizei und müssen herausfinden, wer es war. Kommen wir also zurück auf den Grund unserer Anwesenheit: Waren Sie es?
    Es trat Stille ein. Das Mädchen hörte auf zu rühren, nahm sein Brüderchen auf den Arm und floh nach draußen. Lomunno verbarg das Gesicht in den Händen und blieb eine Weile so sitzen. Schließlich hob er den Kopf und antwortete:
    – Ja, ich hab's getan. Hundert Mal am Tag in meiner Gefängniszelle. Auf grausamste Art und Weise, nur ihn, weder die Frau noch die Tochter, ich kenne das Mädchen seit seiner Geburt, es hatte nichts mit der Sache zu tun. Und dann weitere hundert Male, nachdem ich erfahren hatte, dass meine Frau sich umgebracht hat und mir noch sechs Monate fehlten und ich nicht wusste, was aus den Kindern werden würde. Und noch hundert Mal, als ich sie in diese Baracke gebracht habe. Ich schlafe auf ihnen, damit sie keine Bronchitis kriegen, und bleibe die ganze Nacht wach, um die Mäuse zu verjagen. Ja, ich hab's getan. Wenn Sie mich aber fragen, ob sich das auch außerhalb meines Kopfes abgespielt hat, dann ist die Antwort nein, ich hab's nicht getan. Wenn meine Frau noch leben würde, ich jemanden gehabt hätte, der sich um die Kinder küm
mern kann, wäre ich vielleicht seine Treppe hochgestiegen und hätte Gebrauch von meinem Messer hier gemacht. Aber so wie die Dinge stehen, hätte ich auch gleich die Kinder selbst umbringen und dann nach Mergellina gehen können.
    Wieder hörte man die Möwen kreischen.
    Maione nahm seinen Mut zusammen.
    – Entschuldigen Sie die Frage, Lomunno, aber wie schaffen Sie es, sich durchzuschlagen?
    – Jeden Tag aufs Neue, Brigadiere. Ich hab' nichts gelernt, ich war bloß Hafenbeamter und später dann bei der Miliz. Ein wenig helfen mir meine ehemaligen Kameraden, aber heimlich. Sie kommen nachts her, in Zivil, und geben sowohl beim Kommen als auch beim Gehen Acht, nicht gesehen zu werden. Dass sie Angst haben, kann ich ihnen nicht verübeln, man wird schnell zum Komplizen abgestempelt. Seit ein paar Tagen helfe ich ein paar Firmen am Hafen bei der Buchhaltung, im Namen anderer Leute natürlich. Ich hab' ein bisschen Geld dafür bekommen, und diesmal werd' ich's nicht ins Wirtshaus tragen, sondern es meinen Kindern ein bisschen nett machen zu Weihnachten.
    – Lomunno, wir müssen Sie das fragen: Wo waren Sie am Morgen des 18. Dezember zwischen sieben und eins?
    Der Mann schaute zu Maione auf.
    – Auf Arbeitssuche, Brigadiere. Durch die ganze Stadt gerannt bin ich, um Arbeit zu suchen. Morgens war ich am Hafen. Ein paar Türen wurden mir vor der Nase zugeknallt, andere höflich geschlossen, wieder andere einen Spalt offen gelassen. Ich kann Ihnen ein paar Anschriften von Firmen nennen, bei jeder war ich aber nur ein paar Minuten. Theoretisch – ich sag's Ihnen lieber, bevor Sie's mir sagen – hätte ich also Gele
genheit gehabt, zwischendurch mal schnell Garofalo und seine Frau abzumurksen. Ich war selber Polizist, wenn man so will. Ich weiß, wie Sie denken.
    Dann trat er einen Schritt vor und legte Maione die Hand auf den Arm:
    – Brigadiere, hören Sie mich an: Ich war es nicht. Ich hätte es tun wollen, vielleicht sogar sollen. Es tut mir auch leid wegen der Frau und des Mädchens. Was ich allerdings noch mehr bedaure, ist, dass dieser Bastard nicht durch meine Hand zu Tode kam. Aber für jemanden, der Kinder hat, ist Rache teuer, zu teuer. Ich kann sie mir nicht leisten.

XXXI
    Als Enrica in ihrer Erzählung bei dem Versprechen angelangte, das sie der Madonna von Pompeji gegeben hatte, glaubte sie, Rosa müsse sie nun endgültig hoch achten. Eine Frau ihres Alters, glaubte Enrica, musste eine so heilige Sache unbedingt für verbindlich halten. Doch Rosa überraschte sie einmal mehr:
    – Meiner Meinung nach gilt dieses Versprechen nicht, – verkündete sie.
    – Was heißt, es gilt nicht?
    Rosa zählte ihre Argumente an den Fingern ab.
    – Erstens wussten Sie nicht, wie es um den jungen Herrn stand, Sie sagten nämlich: Wenn Ihr ihn bewahrt, werde ich ihn nicht wiedersehen. Aber wovor sollte die Madonna ihn denn bewahren, wo er sich bloß den Kopf gestoßen hatte? Zweitens muss man ein Gelübde auf eine bestimmte Weise ablegen,

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