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Die Gabe des Commissario Ricciardi

Die Gabe des Commissario Ricciardi

Titel: Die Gabe des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht weiß, warum Sie hier sind.
    Das Innere der Baracke spiegelte das äußere Erscheinungsbild wider, es zeugte von furchtbarem Elend. Ein etwa zehnjähriges Mädchen hatte sie mit einer Verneigung begrüßt und dann weiter in einem Topf gerührt, der über dem Feuer hing. Ein starker Blumenkohlgeruch ließ keinen Zweifel daran, was da vor sich hin kochte.
    Auf dem Boden neben dem Tisch saß ein kleiner Junge. Er steckte in einem Pullover, der ihm mehrere Nummern zu groß war. Der eingetrocknete Schleim über seiner Oberlippe ließ auf eine Verwahrlosung schließen, die einem das Herz zusammenzog.
    Der Mann hatte sich an den Tisch gesetzt, ohne den beiden Polizisten zu bedeuten, ebenfalls Platz zu nehmen. Sie blieben daher stehen. Lomunno hatte angefangen, mit einer gewissen Gewandtheit weiter zu schnitzen. Das Stück Holz in seiner Hand schien wohl ein Pferd zu werden.
    Hinter ihm nahm auf einem wackligen Untersatz eine selbstgebaute Krippe Form an, zu der auch einige gut gemachte Hirten gehörten. Der Mann folgte dem Blick des Kommissars.
    – Die Krippe. Keine Ahnung, warum die Gläubiger sich nicht an den Figuren vergriffen haben. Ein paar Hirten sind natürlich verlorengegangen, ich schnitze sie selbst nach, Sie sehn es ja. Das hier wird Melchiors Pferd. Für die Kinder gibt's kein Weihnachten ohne Krippe. Sie kommen vielleicht ohne Mutter aus, aber nicht ohne Krippe.
    Er lachte düster und sein nach billigem Wein stinkender Atem drang bis zu Maione. Der Brigadiere beobachtete, dass das Mädchen den Vater ausdruckslos ansah.
    Ricciardi sagte:
    – Wenn Sie wissen, warum wir hier sind, Lomunno, dann sagen Sie uns, was wir wissen wollen.
    Der Mann fixierte Ricciardi lange. Dann sah er hinab auf das Holzpferd, das unter dem Messer Gestalt annahm.
    – Eines Tages geh' ich ins Büro – man schätzte mich da, achtete mich hoch. Ich war ein treues Parteimitglied, ein Freiwilliger der ersten Stunde. Ich machte meine Arbeit gern, alle hatten eine hohe Meinung von mir, oder vielmehr glaubte ich, es sei so. In meinem Büro steht mein Chef mit zwei Wachen und einem Mann in Zivil. Der Mann kommt auf mich zu und sagt: Sie wurden bestochen. Dann steckt er die Hand in meine Jackentasche und nimmt mein Geld heraus. Alles Geld, was ich in meinem Leben gespart hatte. Ich hatte es nach und nach zur Seite gelegt, zu Hause nichts von Gehaltserhöhungen und Gratifikationen erzählt, um meiner Frau eines Tages geben zu können, was sie sich gewünscht hatte: ein Haus.
    Draußen kreischte eine Möwe, die sich ganz nah über der Baracke befinden musste.
    – Nur einem einzigen Menschen hatte ich dieses kleine, unnütze Geheimnis anvertraut. Nur einer wusste, dass ich das
Geld an dem Tag bei meinem Onkel abholen würde, der nach Amerika aufbrach. Ich versuchte, es zu erklären, aber man ließ mich gar nicht ausreden. Kaffee, sagten sie. Kaffee und Zigaretten. Du hast Geld genommen, damit die Schmuggler ihre Ware an Land bringen können. Wir haben Zeugen.
    Ricciardi fragte:
    – Und die Zeugen? Wurden sie Ihnen nicht gegenübergestellt?
    Lomunno warf den Kopf zurück und lachte, es klang finster. Seine Tochter sah ihn erneut ausdruckslos an und rührte dann weiter im Topf.
    – Sie wissen anscheinend nicht, wie's läuft. Die Miliz, die politische Polizei, die Geheimpolizei. Die machen kurzen Prozess: Sie versprechen den Zeugen Straffreiheit und das war's. Lomunno geht in den Knast, der Dreckskerl wird befördert. Einer verliert, der andere gewinnt. Bis zur nächsten Runde. Aber es gibt keine nächste Runde.
    Ricciardi hatte ihn die ganze Zeit über beobachtet, seine Augen funkelten im Halbdunkel. Der Gestank von Schmutz und Blumenkohl war unerträglich.
    – Wirklich? Mir scheint, es hat sehr wohl eine nächste Runde gegeben und Garofalo hat dabei den Kürzeren gezogen.
    Lomunno rammte das Messer heftig in den Tisch, was einen dumpfen Knall ergab. Maione trat einen Schritt vor, die Hand am Griff seiner Pistole. Das Mädchen hörte nicht auf zu rühren.
    – Glauben Sie? Glauben Sie das wirklich, Commissario? Schauen Sie sich doch um, was sehen Sie hier? Einen bedauernswerten, nutzlosen Mann ohne Ehre, der von den Almosen seiner früheren Freunde lebt – haben ein schlechtes Gewissen,
weil sie nicht zu mir gehalten haben, damals, als es nötig war. Zwei Kinder ohne Kindheit und Familie; von einem Nachbarn zum nächsten geschickt hat man sie, bis ihr Vater aus dem Knast kam, weil die

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