Die Gabe des Commissario Ricciardi
Handbewegung.
– In dieser Stadt ist doch immer was los. Alles voller Menschen jeder Couleur.
– Was uns manchmal hilft und manchmal weniger. Ich kann mir vorstellen, dass es dort, wo Sie herkommen, weniger chaotisch zugeht, hab' ich recht?
– Na ja, in Rom …
– Ich meinte Pesaro, Ihre Heimatstadt. Auch wenn Sie schon fast zwei Jahre lang nicht mehr dort gewesen sind, das letzte Mal vor zweiundzwanzig Monaten, um genau zu sein.
Diese detaillierte Angabe aus ihrem Leben ließ Livia erstarren. Sie hätte nicht einmal selbst sagen können, wie lange sie ihre Eltern nicht mehr besucht hatte, und dieser Unbekannte, der da in ihrem Wohnzimmer stand, kannte alle ihre Schritte der letzten beiden Jahre auswendig.
Sie begriff, dass das seine Art war, sie daran zu erinnern, dass man sich Schwatz und Plänkeleien bei ihm sparen konnte.
– Welchem Umstand verdanke ich Ihren Besuch, Falco? Ich habe nicht damit gerechnet, Sie so bald wiederzusehen.
– Ich muss Ihnen gestehen, Signora, dass die Besuche bei Ihnen zu meinen angenehmsten Aufgaben gehören.
Livia erwiderte schroff:
– Sehr liebenswürdig. Ich nehme an, mir darauf etwas einbilden zu können, da die Artigkeit von einem so zurückhaltenden Mann kommt.
Falco neigte erneut den Kopf.
– Sie sind Komplimente sicher gewohnt. Wie ich hörte, hat Ihnen gestern Morgen sogar ein Häftling seine Bewunderung bekundet.
Wieder spürte Livia ein unheimliches Frösteln. Sie beschloss, den Scherz nicht weiter mitzumachen.
– Falco, ich muss Sie noch einmal fragen, was Sie von mir wollen. Ich habe heute noch andere Verpflichtungen.
Der Mann nahm einen betrübten Gesichtsausdruck an.
– Schade, wenn man gezwungen ist, unsympathisch zu sein. Das ist ein Teil meiner Arbeit, an den ich mich einfach nicht gewöhnen kann. Ich kenne Ihre Verpflichtungen, Signora. Sie möchten zwei Theaterkarten kaufen gehen.
Das war nun wirklich zu viel: Sie hatte ihre Absicht niemandem mitgeteilt.
– Und woher wissen Sie das schon wieder?
– Sagen wir, Sie wurden gestern gehört, als Sie den Fahrer anwiesen, den Wagen zu diesem Zweck bereitzumachen. Ich kann mir vorstellen, aber das ist nur so eine Idee von mir, dass Sie in den Kursaal in der Via Filangieri möchten.
Livia bekam vor Staunen den Mund nicht zu; sie konnte bloß mit dem Kopf nicken. Falco lächelte:
– Dazu waren keine Ermittlungen nötig. Die Aufführung wird schon lange erwartet, ein Einakter von diesem jungen, sehr beliebten Ensemble, den drei Geschwistern. Es heißt, sie seien wirklich fantastisch.
Livia nickte vorsichtig.
– Ja. Es ist ein neues Stück, das der Älteste der drei geschrieben hat, der Leiter der Truppe. Es handelt von Weihnachten.
– Und Sie wollen auf keinen Fall die Premiere morgen Abend verpassen. Sie möchten zwei Karten im Parkett: Eine ist für Sie. Und die andere?
Livia rutschte verlegen auf ihrem Sessel hin und her.
– Ich glaube weder, dass es Sie etwas angeht, noch, dass es die nationale Sicherheit betrifft, mit wem ich ins Theater gehe!
Falco senkte den Blick und spielte mit der Krempe des Hutes, den er in der Hand hielt.
– Gewiss. Ich werde es Ihnen erklären: Die nationale Sicherheit ist eine komplexe Angelegenheit, die viel mit Information, mit Propaganda zu tun hat. Was zählt, ist das öffentliche Bild einer Person. Sie sind bedeutenden Persönlichkeiten des Regimes sehr teuer. Sie mögen Sie und Ihr Wohlergehen liegt ihnen am Herzen. Ihr eigensinniges Frequentieren eines gewissen Mannes, dessen Namen ich nicht zu nennen brauche, beunruhigt ein wenig.
Livia ballte die Fäuste, um sich unter Kontrolle zu halten. Die Augen zu zwei Schlitzen verengt, zischte sie:
– Der Mann heißt Luigi Alfredo Ricciardi und ist ein Kommissar der Kriminalpolizei. Mir scheint, seine Stellung spricht dafür, dass ich mich in guten Händen befinde, nicht wahr? Und dass es nur mich etwas angeht, mit wem ich verkehren möchte. Nicht etwa meine Freunde, so hochstehend sie auch sein mögen.
Falco seufzte leise.
– Das stimmt. Und ich versichere Ihnen, dass dem Herrn derzeit nichts zur Last gelegt wird, obgleich bestimmte Punkte seines Privatlebens eine gewisse Besorgnis erwecken. Das Problem ist, dass alle ruhiger wären, wenn Sie nach Rom zurückkehren würden, Signora. Der Mann, von dem wir sprechen, bewegt sich nicht im selben Milieu wie Sie; einige seiner Freundschaften sind, nun ja, zweifelhaft. Da ist zum Beispiel dieser Doktor, der … aber das sagte ich Ihnen bereits. Sie
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