Die Gabe des Commissario Ricciardi
Zweigen waren die Bürgersteige überfüllt mit einer Unmenge von Mandeln, Nüssen und Kastanien.
Auch die Metzger stellten in ihren Schaufenstern in einem letzten Versuch alles aus, was ihnen übrig geblieben war: Den Hintergrund bildeten geviertelte Ochsen und Schweine, sorgsam gesäubert und regelmäßig benetzt, um die Qualität und das zarte Alter der gestorbenen Tiere zu unterstreichen; vorne tummelte sich die Avantgarde der Kapaune, Truthähne, Hühner und Kaninchen, samt Federn und Fell oder auch gehäutet, die den Kindern mit ihren glasigen Augen Angst machten.
Spektakulär präsentierten sich die Vitrinen der Konditoreien, in deren Zentrum ein Püppchen aus Zuckerwatte thronte und die vor allen Arten von Leckereien förmlich überquollen:
Da gab es Cassata, Krokant und Berge frittierter Teigbällchen, die mit Honig und bunten Dragees garniert waren, traditionelles Gebäck wie Paste di Mandorla, Roccocò, rautenförmige und mit Schokoladenglasur überzogene Mustacciuoli, Zimtplätzchen und vieles andere mehr. All diese Köstlichkeiten suchten nun verzweifelt nach einer Festtafel, die sie beherbergen könnte, genau wie ihre Artgenossen, die bereits an den vergangenen Tagen zentnerweise verkauft worden waren.
Der 23. Dezember ist die letzte Gelegenheit.
Das wissen die Gemüsehändler, die müde und besorgt inmitten ihrer aufwendig gestalteten Auslagen sitzen. Eine Woche lang haben sie nun abwechselnd mit Frauen und Kindern gewacht, damit die Straßenkinder ihnen die ausgestellte Ware nicht stibitzen. Ihre Stände schmücken Zweige von Orangen- und Zitronenbäumen, an denen noch die Früchte hängen, und geschickt haben sie das Grün der Brokkoli, das Orange der Mandarinen und das Gelb der dicken Zitronen aus Sorrent farblich arrangiert. Daneben hängen Melonen und kleine, süße Tomaten über Pyramiden von Feigen, Äpfeln und Birnen.
Die Kälte ist ihnen willkommen, weil sie die Insekten abhält; doch was am 23. noch nicht verkauft wurde, droht übrig zu bleiben und zu verderben. Deshalb ist der Ton der Händler jetzt flehend, wenn sie die Passanten ansprechen, ganz anders als ihre triumphierenden Lockrufe an den Morgen zuvor, als ihre Stimmen noch fröhlich die Hausfrauen um sie versammelten.
Nun bittet, ja beschwört man die Kundschaft: kauft, kauft. Habt doch Mitleid.
Denn der 23. Dezember ist die letzte Gelegenheit.
Maione und Ricciardi saßen vor einem Malzkaffee in Ricciardis Büro. Sie waren sich bewusst, bei den Ermittlungen zum Mord an den Garofalos an einem entscheidenden Punkt angelangt zu sein. Die neuen Informationen, die sie jeweils am Hafen und im Fischerviertel eingeholt hatten, änderten nichts an der prekären Lage der Verdächtigen, genau wie sie es sich gedacht hatten.
– Um es kurz zu sagen, Commissario, – begann Maione – stehen wir wieder ganz am Anfang, genau wie gestern und vorgestern. Wir haben Lomunno und die Boccias, falls es nicht irgendein anderer Fischer war, von dem wir bisher nichts wissen. Vergessen wir nicht, dass wir die Boccias schließlich nur gefunden haben, weil sie ein paar Tage zuvor bei den Garofalos waren. Die wahren Mörder hätten sich aber genauso gut vor dem Haus auf die Lauer legen und warten können, bis der Pförtner sein Päuschen im Wirtshaus macht, um reinzugehen, ohne gesehen zu werden. In dem Fall wüssten wir überhaupt nichts von ihnen.
Ricciardi pflichtete ihm bei:
– Richtig. Würden wir zu denen gehören, die unbedingt jemanden in den Knast werfen wollen, könnten wir sowohl Lomunno als auch die Boccias einlochen. Lomunno könnte in einem Moment der Verzweiflung schwach geworden sein, und die Boccias hätten kein Alibi, weil die Bootskameraden keine besonders zuverlässigen Zeugen sind. Aber wir beide wissen, dass jemand, der sowohl die Gelegenheit als auch gute Gründe für einen Mord hatte, die Tat deshalb noch lange nicht begangen haben muss. Und wir gehören nicht zu denen, die einen Unschuldigen in den Knast werfen, oder? Denn sonst wären wir Richter und keine Polizisten.
Denn sonst wären wir Richter, dachte Maione.
– Was sollen wir also tun, Commissario? Man müsste die Schuldigen mit irgendwas aus der Reserve locken, sie dazu bringen, sich zu verraten. Mit etwas Unvorhergesehenem.
Ricciardi dachte nach, in der für ihn typischen Haltung: die Hände vor dem Mund zusammengelegt, den Blick starr auf die Schreibtischplatte gerichtet.
– Etwas Unvorhergesehenes, sagst du. Weißt du, Raffaele, gestern war ich im Theater,
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