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Die Gabe des Commissario Ricciardi

Die Gabe des Commissario Ricciardi

Titel: Die Gabe des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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Livia hat mich dahin geschleppt. Wir haben uns das Stück über Weihnachten angesehen, das von den drei Geschwistern.
    – Ach, davon hab' ich gehört, Commissario, die sind wirklich gut, die ganze Stadt spricht ja davon.
    – Tatsächlich, sie sind gut, auch wenn ich nicht viel vom Theater verstehe. Was ich aber sagen wollte: Irgendwann kommen auf der Bühne alle zusammen und es kommt zur Auflösung. Wer weiß, vielleicht bräuchten wir genau das auch: so eine Art Zusammenkunft.
    Maione hörte ihm zu; er dachte nach.
    – Möglicherweise wird es eine Zusammenkunft geben. Heute ist der 23. Dezember, der letzte Tag des Fischmarkts in der Via Santa Brigida.
    – Letzter Tag? Inwiefern?
    Maione lächelte:
    – Ich vergesse immer, dass Sie nicht von hier sind und ein paar städtische Traditionen nicht kennen. In der Weihnachtszeit wird der Fisch, damit Kunden und Händler es einfacher haben, nämlich nur in einer Straße verkauft, der Via Santa Brigida, hier um die Ecke. Alle stellen sich mit ihren blau bemalten Becken dort auf, und die Leute kaufen bei ihnen den Fisch
für Heiligabend und den ersten Weihnachtstag. Es findet eine Art Kampf statt: Die Kaufleute wollen ihre Ware früh und zu hohen Preisen verkaufen, die Kunden warten bis zum letzten Moment, um günstig einzukaufen, laufen dabei allerdings Gefahr, leer auszugehen.
    Ricciardi hörte ihm zu.
    – Ja und? Warum sollte es dort zu einer Zusammenkunft kommen?
    – Weil alle, die mit dem Fischfang zu tun haben, einschließlich der Gelegenheitsarbeiter, da sein werden. Ganz bestimmt auch Boccia und seine Kameraden – sie können mehr verdienen, wenn sie den Fisch selbst verkaufen –, und vielleicht sogar Lomunno, der sich bei irgendeinem Kaufmann ein bisschen Geld dazuverdient.
    Ricciardi nickte:
    – Stimmt, gestern am Hafen hab' ich jemanden sagen hören, dass er Lomunno heute auf dem Markt sehen würde. Also meinte er damit den Fischverkauf in der Via Santa Brigida.
    Maione stimmte ihm zu:
    – Was anderes konnte er nicht meinen. Gehen wir doch hin, Commissario, vielleicht am frühen Nachmittag, wenn mehr Leute da sind, denn jetzt könnten die Fischer die Zeit nutzen, um noch einmal mit den Booten rauszufahren. Und vielleicht wird auch die Hafenmiliz dort sein, um den Warenverkehr zu kontrollieren.
    Ricciardi kratzte sich kurz an seiner Wunde, die mittlerweile fast verheilt war.
    – Um die Wahrheit zu sagen, ist da immer noch die Symbolik des heiligen Josefs, die mir nicht aus dem Kopf geht. Was wollten die Mörder wohl damit sagen, als sie die Figur zerbrochen haben?
    Maione schüttelte den Kopf.
    – Das werden wir nicht erfahren, bis jemand es uns gesteht.
    Ricciardi verzog traurig das Gesicht.
    – Ja, falls es jemand gesteht.

XLVII
    Ich bin Polizist, dachte Maione. Polizist.
Heute Nacht hatte er von seinen Händen geträumt. Er erinnerte sich, im Traum in einer verlassenen Gasse gewesen zu sein, die er nicht kannte: Er war sie in ihrer ganzen qualvollen Länge bergauf, bergab entlanggelaufen, um schließlich wieder dort anzukommen, wo er losgegangen war.
    Also hatte er sich erneut in Bewegung gesetzt, und beim Gehen empfand er eine schreckliche Müdigkeit, vor allem die Hände schienen ihm einzuschlafen.
    Er hatte sie im Traum immer wieder angesehen, erkannte sie aber nicht wieder. Sie erschienen ihm wie Fremdkörper, zwei Tiere mit eigenem Leben, völlig losgelöst von seinen Armen und seinem Willen. Er hatte Angst bekommen und war weitergegangen, vielmehr gerannt, gefolgt von Franco Massa. Der sagte zu ihm: Du musst ihn töten, du musst ihn töten. Es liegt an dir. Durch deine Hand muss es geschehen. Durch deine Hand.
    Und im Traum hatte sich ihm das Herz zusammengezogen: Er sah die beiden Kinder vor sich, die schöne dunkelhaarige Frau, und von Biagio sah er kein Gesicht, sondern nur die blonden Haare.
    Durch meine Hand, wiederholte er. Durch meine Hand.
    Aber ich bin Polizist, hatte er im Traum zu Massa gesagt. Polizist, kein Richter, kein Henker. Wie kann ich das tun?
    Und am Ende der Gasse, die in einem Gefälle endete, sah er die beiden Kinder lachend auf ihn zukommen und ihn Opa nennen. Und er selbst näherte sich von hinten Biagio, der sich nicht umdrehte, und seine Hände packten den Burschen gegen seinen Willen am Hals und drückten zu. Durch meine Hand, sagte ihm die Stimme in seinem Kopf. Und Biagio wandte sich im Todeskrampf zu ihm um, und Maione merkte, dass es natürlich Luca war, sein Sohn, der durch seine Hand ein zweites Mal

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