Die Gärten des Mondes
jede einzelne Erinnerung plötzlich unwichtig und in Vergessenheit geraten. Ihr Herz hämmerte wie eine Trommel in ihrer Brust. Alles, was von ihrer Vergangenheit übrig blieb, und das einzige wirkliche Gefühl, das sie ihrem Leben entgegenbrachte, war Bedauern - ein unbestimmtes, überwältigendes Bedauern. Sie sah zu dem Thelomen auf, und Mitgefühl schwamm in ihren Augen. »Wo befinden sich dieser T'lan und die Mandata im Augenblick?«
»Ungefähr acht Stunden östlich von hier. Der Imass hat noch nicht einmal gespürt, dass wir hier sind. Die Zeit für Gespräche ist jetzt vorbei, Flickenseel. Wirst du mich begleiten?«
Ihr Mund war trocken, als sie erwiderte: »Ich hätte nicht gedacht, dass du einer von denen bist, die alte Freunde verraten.«
Bellurdan breitete die Arme weit aus und sagte mit schmerzerfüllter Stimme: »Ich würde dich niemals verraten, Flickenseel. Wir unterstehen beide dem Befehl des Hohemagiers. Wie kann es da Verrat geben?«
»Das meine ich nicht«, erwiderte Flickenseel schnell. »Ich habe dich vor einiger Zeit gefragt, ob ich mich einmal ausführlich mit dir unterhalten könnte. Erinnerst du dich? Du hast Ja gesagt, Bellurdan. Und jetzt erzählst du mir, das Gespräch ist vorbei. Ich hätte nicht gedacht, dass dein Wort so wenig wert ist.«
Im herrschenden Zwielicht war es unmöglich, das Gesicht des Thelomen zu erkennen, doch die Qual in seiner Stimme war unverkennbar. »Es tut mir Leid, Flickenseel. Du hast Recht. Ich habe dir mein Wort gegeben, dass wir uns unterhalten würden. Aber können wir das nicht tun, während wir nach Fahl zurückkehren?«
»Nein«, schnappte Flickenseel. »Ich will mich hier und jetzt mit dir unterhalten.«
Bellurdan neigte den Kopf. »Also gut.«
Flickenseel versuchte, die Verkrampfung in ihrem Nacken und ihren Schultern zu lockern. »Ich habe ein paar Fragen«, sagte sie. »Als Erstes: Tayschrenn hat dich für einige Zeit nach Genabaris geschickt, nicht wahr? Du hast dir in seinem Auftrag ein paar Schriftrollen angeschaut?«
»Ja.«
»Darf ich fragen, was das für Rollen waren?«
»Ist das denn jetzt von besonderer Bedeutung, Flickenseel?«
»Das ist es. Die Wahrheit wird mir die Entscheidung leichter machen, ob ich mit dir gehen oder lieber hier sterben soll.«
Bellurdan zögerte nur einen kurzen Augenblick. »Also gut. In den Archiven, die die Magier der Stadt zusammengetragen hatten -die, wie du weißt, alle hingerichtet worden sind -, hat man auch ein paar Fragmente einer Abschrift von Gothos' Narretei gefunden, einem alten Wälzer, den -«
»Ich weiß, was das ist«, unterbrach ihn Flickenseel. »Weiter.«
»Als Thelomen fließt Jaghut-Blut in meinen Adern, obwohl Gothos das natürlich leugnen würde. Der Hohemagier hat mir die Untersuchung dieser Schriften anvertraut. Ich sollte nach Informationen suchen, in denen es um das Grab eines Jaghut-Tyrannen ging, ein Grab, das in Wirklichkeit ein Gefängnis war.«
»Warte«, sagte Flickenseel. Sie schüttelte den Kopf. »Die Jaghut hatten doch gar keine Regierung. Was für ein Tyrann soll das denn gewesen sein?«
»Einer, dessen Blut von dem Ehrgeiz, andere zu beherrschen, vergiftet war. Dieser ganz bestimmte Jaghut-Tyrann hat das Land um sich herum, alles, was dort gelebt hat, fast dreitausend Jahre lang versklavt. Die Imass jener Zeit haben versucht, ihn zu vernichten, und sind gescheitert. Es blieb den anderen Jaghut vorbehalten, den Tyrannen von seinem Land zu trennen und einzukerkern, denn eine solche Kreatur war für sie genauso abscheulich wie für die Imass.«
Flickenseels Herz hämmerte jetzt wie rasend in ihrer Brust. »Bellurdan.« Sie musste sich anstrengen, die Worte über die Lippen zu bringen. »Wo ist dieser Tyrann begraben worden?«
»Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass der Grabhügel sich südlich von hier befinden muss, in den Gadrobi-Hügeln, direkt östlich von Darujhistan.«
»Oh, bei der Königin der Träume. Bellurdan, weißt du, was du getan hast?«
»Ich habe getan, was mir unser Hohemagier aufgetragen hatte.«
»Deshalb ist der T'lan Imass auch bei der Mandata.«
»Ich verstehe nicht, was du meinst, Flickenseel.«
»Verdammt, du hirnloser Ochse!«, krächzte sie. »Sie haben vor, den Tyrannen zu befreien! Lorns Schwert - ihr Otataral-Schwert —«
»Nein«, grollte Bellurdan. »So etwas würden sie niemals tun. Im Gegenteil, wahrscheinlich wollen sie verhindern, dass jemand anderes den Tyrannen freilässt. Ja, das ist viel wahrscheinlicher. Das ist die
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