Die Gärten des Mondes
sanft.
Elster schloss die Augen, dann nickte er knapp.
Der Heiler hob eine Hand und ließ sie über die Stirn des Sergeanten gleiten. »Ich versuche nur, die Schmerzen ein wenig zu lindern«, sagte er.
Der Sergeant grinste reumütig. »Das wird langsam zur Gewohnheit, Fäustel. Du benutzt sogar die gleichen Worte.« Eine kühle Taubheit floss durch seine Gedanken.
Fäustels Gesicht war abgespannt. Er ließ die Hand sinken. »Wenn wir mal Zeit haben, werde ich die Ursache dafür finden, Elster.«
»Genau.« Der Sergeant lächelte. »Wenn wir mal Zeit haben.«
»Ich hoffe, bei Kai und Ben ist alles in Ordnung«, sagte Fäustel, während er sich umdrehte, um das Gedränge auf der Straße zu beobachten. »Hast du Leida weggeschickt?«
»Ja. Wir sind unter uns. Sie wissen, wo sie uns finden können, alle drei.« Er blickte noch einmal zu dem Fenster des Herrenhauses hinauf. Der Mann mit den roten Händen war immer noch da, doch jetzt beobachtete er die weiter entfernt liegenden Dächer. Eine Staubwolke stieg zwischen ihnen auf, und Elster richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Stadtplan, auf dem jede größere Kreuzung, die Unterkünfte der Stadtgarde und der Majestäts-Hügel rot eingekreist worden waren. »Fäustel?« »Was ist, Sergeant?«
»Hab mir schon wieder in die Wange gebissen.« Der Heiler trat näher und hob erneut die Hand.
Crokus Junghand war auf Trallits Promenade nach Süden unterwegs. Mittlerweile waren die ersten Anzeichen des bevorstehenden Gedderone-Festes zu sehen. Gefärbte Flaggen hingen von den Wäscheleinen über den Straßen, bunte Blumen und Rindenstreifen umrahmten die Eingänge, und an jeder Kreuzung waren Sträuße aus getrockneten Kräutern an den Häuserwänden befestigt.
In den Straßen drängten sich bereits Fremde - Gadrobi-Hirten, Händler aus der Rhivi-Ebene, Weber aus der Catlin-Ebene -, ein Mob aus schwitzenden, schreienden, aufgeregten Leuten. Der Geruch nach Vieh mischte sich mit menschlichen Ausdünstungen und machte die engeren Gässchen fast unpassierbar, was wiederum dafür sorgte, dass die großen Straßen noch überfüllter waren.
In den vergangenen Jahren hatte Crokus die Feierlichkeiten in vollen Zügen genossen, hatte sich um Mitternacht durch die Menge gedrängt und seine Taschen gefüllt, indem er die der Umstehenden geleert hatte. Während des Fests traten die Sorgen, die man sich um die Taten des malazanischen Imperiums im fernen Norden machte, für eine gewisse Zeit in den Hintergrund. Sein Onkel pflegte so etwas immer zu belächeln und dann zu erklären, dass die Abfolge der Jahreszeiten den Anstrengungen der Menschen die angemessene Perspektive verschaffte. »Die wimmernden, unbedeutenden Handlungen einer kurzlebigen und kurzsichtigen Spezies, Crokus, können die Großen Zyklen des Lebens nicht im Geringsten beeinträchtigen«, pflegte er zu sagen.
Jetzt, auf dem Weg nach Hause, fielen ihm Onkel Mammots Worte wieder ein. Er hatte seinen Onkel immer für einen weisen, wenn vielleicht auch nicht übermäßig zielstrebigen alten Mann gehalten. Nun allerdings verunsicherten ihn Mammots Beobachtungen zunehmend.
Doch Gedderones Ritual des Frühlings sollte eigentlich nicht als Entschuldigung dafür herhalten, dem Druck der Wirklichkeit zu entfliehen. Und es war auch gar keine harmlose Flucht: Es war ein Mittel, das Wahrscheinliche hinauszuzögern und es zu etwas Unvermeidlichem zu machen. Wir könnten das ganze Jahr hindurch in den Straßen tanzen, sagte er mit finsterem Gesicht zu sich selbst, zu tausend Großen Zyklen, und mit der gleichen Gewissheit, mit der die Jahreszeiten kamen und gingen, würde das malazanische Imperium durch unsere Tore marschieren. Sie würden den Tanz mit der Schwertklinge beenden; schließlich waren sie emsige, disziplinierte Leute, und ziemlich ungeduldig, wenn es um den nutzlosen Verbrauch von Energie ging - und schrecklich kurzsichtig.
Er kam zu einem Wohnhaus und ging hinein, nicht ohne dabei der alten Frau zuzunicken, die auf den Stufen saß und Pfeife rauchte. Der Korridor war leer, die übliche Horde Kinder spielte zweifellos draußen auf der Straße, und die beruhigenden Geräusche des häuslichen Alltags drangen durch verschlossene Türen. Er stieg die quietschende Treppe zum zweiten Stock hinauf.
Vor der Tür zu Mammots Räumen schwebte das Schoßtier des Gelehrten - ein geflügeltes Affchen - in der Luft und kratzte und zerrte verzweifelt am Riegel. Es ignorierte Crokus, bis er die Tür erreicht hatte und es
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