Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gärten des Mondes

Die Gärten des Mondes

Titel: Die Gärten des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
Vom Netzwerk:
nun spüren, wie es schwächer wurde. Was immer dagegen ankämpfte, war im Begriff, die Schlacht zu gewinnen. Doch zugleich glaubte sie, aus weiter Ferne das Weinen eines Kindes zu hören.
    »Ich bin Cotillion«, hörte sie sich selbst murmeln, »der Schutzpatron der Assassinen und allen als das Seil des Schattens bekannt.« Das Weinen schien sich noch weiter zu entfernen. »Die Seherin ist tot.«
    Ein Teil ihres Verstandes schrie bei diesen Worten auf, während ein anderer Teil fragte: Welche Seherin?
    »Ich bin hier drinnen und doch abseits. Ich stehe an der Seite von Schattenthron - er, der Ammanas genannt wird und der Lord der Schatten ist. Ich bin als die Hand des Todes hier.« Leida lächelte und nickte; sie hatte sich wieder gefangen. Was auch immer sie herausgefordert hatte, war jetzt fort, einmal mehr tief in ihrem Innern vergraben. Sie konnte sich den Luxus, zu weinen oder Arger oder Furcht zu empfinden, nicht leisten - hatte ihn sich niemals leisten können.
    Sie holte tief Luft und konzentrierte all ihre Sinne auf die Aufgabe, die vor ihr lag. Der fette kleine Mann war gefährlich. Das Wie und Warum war zwar noch nicht ganz geklärt, doch wann immer sie inmitten der Menge einen Blick auf ihn erhaschen konnte, zischte jede ihrer besonderen Fähigkeiten alarmiert. Und alles, was gefährlich ist, sagte sie zu sich, muss sterben.
     
    Auf dem Markt im Seeufer-Viertel, direkt unterhalb des Zweiten Walls entlang des Salzwegs, ging es so turbulent und hektisch zu wie immer. Die feuchte Hitze, die sich den ganzen Tag über in den überfüllten Straßen und Gässchen aufbaute, war auf ihrem Höhepunkt. Schwitzende, erschöpfte Händler schrien ihren Konkurrenten über die Köpfe ihrer Kunden hinweg Flüche zu. Alle paar Minuten kam es an der einen oder anderen Ecke zu Schlägereien, doch bis die schlecht gelaunte Stadtwache eintraf, hatte das Gedrängel der Menge die Streithähne längst auseinander getrieben.
    Rhivi hockten auf ihren Grasmatten und leierten in einem nasalen Singsang eine schier endlose Litanei von den Vorzügen ihres Pferdefleisches herunter. Bei den Haltepfählen der Kreuzungen standen Gadrobi-Hirten inmitten meckernder Ziegen und blökender Schafe, während andere hölzerne Karren schoben, die schwer mit Käse und Tontöpfen voll vergorener Milch beladen waren. Fischer aus dem Volk der Daru liefen mit Speeren voller geräucherter Fische herum, die über ihren Köpfen wippten und von unzähligen summenden Fliegen umschwirrt wurden. Weber aus Catlin saßen hinter hüfthohen Bollwerken aus Ballen bunt gefärbter Stoffe. Bauern aus Gredfalan standen in ihren Wagen und verkauften die bitteren Früchte und süßen Knollen der Saison. Holzverkäufer drängten sich mit ihren von Ochsengespannen gezogenen Wagen durch die Menge, während ihre Kinder wie Affen an den aufgestapelten Stämmen hingen. In dunkle Roben gekleidete Männer und Frauen aus Callous sangen rasselnd die Forderungen ihrer tausend D'rek-Sekten, wobei sie alle die jeweilige Ikone ihrer Sekte in die Höhe hielten.
    Kruppe schritt munter die Marktstraße entlang, und seine Arme schienen wie aus eigenem Antrieb hierhin und dorthin zu schlenkern. Doch diese Bewegungen waren viel mehr als bloßes Gehabe: Sie tarnten die Gesten, die notwendig waren, um diesen oder jenen Zauber wirksam werden zu lassen. Als Dieb schien es Kruppe nicht nach Besonderem zu verlangen. Er stahl Essen - größtenteils Früchte und Süßigkeiten -, und um genau dieser Gaumenfreuden willen hatte er seine magischen Fähigkeiten verfeinert.
    Während er so dahinschritt, diente das chaotische Wedeln der Arme nur dazu, alles Mögliche aufzufangen - Äpfel, die aus Körben flogen, Pasteten, die von Tabletts hüpften, mit Schokolade überzogene Kirschen, die aus ihren Pfannen sprangen, wobei sich alle so sanft bewegten, als wären sie nur umherhuschende Schatten, die den Menschen in ihrem Weg auswichen. Auf der Innenseite der weiten, flatternden Ärmel seines Mantels waren Taschen aufgenäht, manche groß, manche winzig. Alles, was Kruppe in die Hände bekam, verschwand in seinen Ärmeln, wurde in Taschen von passender Größe verstaut. Er schritt weiter, ein Genießer von Köstlichkeiten aus hunderten von Kulturen, mit einem Ausdruck übersättigter Zufriedenheit im runden Gesicht.
    Schließlich, nach endlosen Umwegen, kam Kruppe beim Phoenix an. Er machte kurz Halt auf den Stufen und sprach mit einem einsamen Schläger, der dort herumlungerte, wobei er nebenbei eine

Weitere Kostenlose Bücher