Die Gärten des Mondes
blinder Verzweiflung ein Gesicht, das er erkennen konnte. Verzweiflung, sagte er sich, verlangt immer nach einer Richtung, einem Brennpunkt. Finde die Richtung, und die Verzweiflung verschwindet.
Natürlich war es nicht ganz so einfach. Die Verzweiflung, die er spürte, hatte keine Form. Es war nicht nur Leida, nicht nur dieser endlose Krieg, noch nicht einmal der Verrat aus dem Innern des Imperiums. Er wusste nicht, wo er noch nach Antworten suchen sollte, und er war es leid, Fragen zu stellen.
Als er Leida damals bei Grauhund betrachtet hatte, war der Grund für sein Entsetzen die Tatsache gewesen, dass er plötzlich erkannt hatte, was allmählich aus ihm wurde: ein Mörder ohne jegliche Gewissensbisse; gepanzert mit dem kalten Eisen der Unmenschlichkeit und befreit von der Notwendigkeit, Fragen zu stellen, nach Antworten zu suchen und sich ein sinnvolles Leben, eine Insel in einem Meer des Gemetzels vorzustellen.
In den leeren Augen dieses jungen Mädchens hatte er das Schwinden seiner eigenen Seele gesehen. Das Spiegelbild war makellos gewesen; es hatte keine Fehler gegeben, die das, was er gesehen hatte, hätten infrage stellen können.
Der Schweiß, der ihm unter seinem Wams den Rücken hinabrann, fühlte sich angesichts der Kälte, die sich in seinem Innern ausbreitete, heiß an. Elster strich sich mit einer Hand über die Stirn. Sie zitterte. In den Tagen und Nächten, die vor ihnen lagen, würden Menschen auf seinen Befehl hin sterben. Er hatte dies bisher als die Erfüllung seiner sorgfältigen, präzisen Planung gesehen - Erfolg, der an dem Verhältnis zwischen toten Feinden und seinen eigenen Verlusten gemessen wurde. Die Stadt mitsamt ihren geschäftigen, drängelnden Massen, die unentwegt mit ihren großen und kleinen, tapferen und feigen Leben beschäftigt waren, war nicht mehr als ein Spielbrett, und das Spiel wurde nur zum Nutzen anderer gespielt. Er hatte seine Pläne gemacht, als ob für ihn selbst nichts auf dem Spiel stünde. Dabei konnten seine Freunde sterben - da, endlich bezeichnete er sie als das, was sie waren -, und die Freunde anderer Menschen konnten sterben, und ihre Söhne und Töchter und Eltern. Die Liste der Menschen, deren Leben ausgelöscht worden war, schien unendlich.
Elster drückte den Rücken gegen die Seitenwand des Karrens und versuchte, seine wirbelnden Gedanken zu ordnen und zu festigen. Verzweifelt hob er den Blick. Er erblickte einen Mann an einem Fenster im zweiten Obergeschoss des Gebäudes. Der Mann beobachtete sie, und seine Hände waren rot.
Erschüttert sah der Sergeant weg. Er biss sich auf die Wange, bis er einen stechenden Schmerz verspürte und Blut schmeckte. Konzentriere dich, sagte er zu sich selbst. Bleib jenem Abgrund fern. Konzentriere dich, oder du wirst sterben. Und nicht nur du, sondern auch alle deine Leute. Sie vertrauen darauf, dass du sie hier wieder heil herausbringst. Du musst beweisen, dass du dieses Vertrauen verdienst. Er holte tief Luft durch die Nase, drehte sich zu einer Seite und spuckte einen Mund voll Blut aus. Er starrte den rot verschmierten Pflasterstein an. »Da«, zischte er, »kein so schwieriger Anblick, was?«
Er hörte Schritte und blickte auf; Igel und Fiedler traten zu ihm. Beide machten besorgte Gesichter.
»Alles in Ordnung, Sergeant?«, fragte Fiedler leise. Hinter den beiden Saboteuren tauchte Fäustel auf, sein prüfender Blick war fest auf Elsters blasses, schweißüberströmtes Gesicht gerichtet.
Der Sergeant schnitt eine Grimasse. »Wir hinken hinter unserem Zeitplan her. Wie lange brauchen wir noch?«
Die staub- und schweißverschmierten Gesichter der beiden Männer wandten sich kurz einander zu, dann meinte Igel: »Drei Stunden.«
»Wir haben uns für sieben Minen entschieden«, sagte Fiedler. »Vier Funkenwerfer, zwei Brandbomben und einen richtigen Knaller.«
»Werden dadurch auch ein paar Gebäude einstürzen?«, fragte Elster und vermied es, Fäustel in die Augen zu blicken.
»Klar. Das ist schließlich die beste Methode, um eine Kreuzung zu blockieren.« Fiedler grinste seinen Kameraden an.
»Gibt es eins, das du besonders gern platt machen würdest?«, wollte Igel wissen.
»Das Haus hinter dir gehört einem Alchemisten.«
»Gut«, sagte Igel. »Das müsste den Himmel so richtig zum Leuchten bringen.«
»Ihr habt zweieinhalb Stunden«, sagte Elster. »Dann geht's weiter zu den Kreuzungen rund um den Majestäts-Hügel.«
Fäustel kam näher. »Schon wieder Kopfschmerzen?«, fragte er
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