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Die Gärten des Mondes

Die Gärten des Mondes

Titel: Die Gärten des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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seiner Schulter vorbei und hüpfte über das Pflaster. Der Schmerz verging so schnell, wie er gekommen war, und er taumelte weiter. Vor ihm, an der Mündung des Gässchens, tauchte der erleuchtete Eingang eines Mietshauses auf. Eine alte Frau saß auf den Steinstufen und rauchte eine Pfeife. Ihre Augen glänzten, während sie zusah, wie der Dieb langsam näher kam. Als Crokus an ihr vorbeisprang und die Treppe hinaufhetzte, klopfte die Alte ihre Pfeife an ihrer Schuhsohle aus. Funken regneten auf die Pflastersteine hinab.
    Crokus stieß die Tür auf und stürmte ins Innere des Hauses, blieb dann kurz stehen. Ein schmaler, schwach beleuchteter Korridor lag vor ihm, an dessen Ende sich eine Treppe befand, die von Kindern nur so wimmelte. Den Blick fest auf die Treppe gerichtet, sprintete er den Korridor entlang. Aus den mit Vorhängen verhängten Türöffnungen zu beiden Seiten drang eine Kakophonie von Geräuschen: streitende Stimmen, weinende Kleinkinder, das Klappern von Kochtöpfen.
    »Schlaft ihr eigentlich nie?«, brüllte Crokus, während er vorbeirannte. Die Kinder auf der Treppe huschten beiseite, und er hetzte die ausgetretenen Stufen hinauf, nahm immer zwei auf einmal. In der obersten Etage machte er vor einer dicken Eichentür im ersten Drittel des Korridors Halt, stieß sie auf und trat in den Raum dahinter.
    Hinter einem gewaltigen Schreibtisch saß ein alter Mann. Er blickte kurz auf, fuhr jedoch sogleich fort, hektisch etwas auf ein zerknittertes Blatt Pergament zu kritzeln. »Guten Abend, Crokus«, sagte er geistesabwesend.
    »Das wünsche ich dir auch, Onkel«, keuchte Crokus.
    Auf Onkel Mammots Schulter hockte ein kleiner, geflügelter Affe, dessen glänzende, halb verrückte Augen dem jungen Dieb folgten, als er geradewegs auf das der Tür gegenüberliegende Fenster zuschoss. Crokus öffnete die Läden und schwang sich auf das Fenstersims. Unter ihm lag ein verwahrloster, überwucherter Garten, von dem in der Dunkelheit kaum etwas zu erkennen war. Ein einsamer, knorriger Baum reckte sich ihm entgegen. Crokus musterte die Zweige vor dem Fenster, packte den Fensterrahmen und lehnte sich zurück. Ein tiefer Atemzug, dann warf er sich mit Schwung nach vorn.
    Während er über die Lücke flog, hörte er von oben ein überraschtes Grunzen, dann kratzte etwas wild an der Mauer. Einen Augenblick später krachte jemand hinunter in den Garten. Katzen kreischten, und eine schmerzerfüllte Stimme knurrte einen Fluch.
    Crokus klammerte sich an einen Ast, der sich spürbar unter ihm bog. Er wartete den Augenblick ab, in dem der elastische Ast wieder hochschnellte, und streckte die Beine aus. Seine Mokassins fanden Halt auf einem Fenstersims. Mit einem Ächzen ließ er den Ast los und schwang sich auf das Sims. Ein kräftiger Hieb ließ die hölzernen Läden nach innen aufspringen. Crokus folgte mit dem Kopf voran, rollte sich ab und stand wieder auf den Beinen.
    Er hörte ein Geräusch aus einem angrenzenden Zimmer. Mit einem Satz war er an der Tür zum Korridor, riss sie auf und glitt genau in dem Augenblick hinaus, als eine heisere Stimme hinter ihm laut fluchte. Crokus rannte zum hinteren Ende des Korridors, wo eine Leiter zu einer Dachluke hinaufführte.
    Kurz danach war er auf dem Dach. Er kauerte sich in die Dunkelheit und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Da war wieder das brennende Gefühl an seiner Hüfte. Er musste sich bei seinem Sturz von dem Drahtseil irgendwie verletzt haben. Als er die Stelle massieren wollte, berührten seine Finger etwas Hartes, Rundes, Heißes ... Die Münze! Crokus griff nach ihr.
    Genau in diesem Augenblick hörte er plötzlich ein pfeifendes Geräusch, und Steinsplitter flogen um ihn herum. Er duckte sich und sah einen Armbrustbolzen, dessen Schaft durch den Aufprall zersplittert war, wirbelnd über das Dach schlittern und schließlich über die Dachkante verschwinden. Ein leises Stöhnen kam über seine Lippen, während er hastig zur entfernten Seite des Dachs krabbelte. Ohne auch nur einen Augenblick innezuhalten, sprang er hinab. Zehn Fuß tiefer landete er in einem durchhängenden, völlig aus der Form geratenen Baldachin. Die eisernen Stäbe des Rahmens bogen sich durch, hielten jedoch. Von hier aus war es kein Problem, die Straße zu erreichen.
    Crokus rannte zur nächsten Ecke, an der ein altes Gebäude kauerte, durch dessen schmutzige Fenster gelber Lichtschein strömte. Über der Tür hing ein hölzernes Schild. Es zeigte das verblasste Bild eines toten Vogels,

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