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Die Gärten des Mondes

Die Gärten des Mondes

Titel: Die Gärten des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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Um sie herum tanzten zerfaserte Rauchfetzen wie verlorene Seelen in den nächtlichen Luftströmungen. Scharteke flog einen Kreis, und ihre scharfen Augen sahen zwischen den Klippen unter ihr ein paar übrig gebliebene Feuer glimmen; dann senkte sie eine Flügelspitze und segelte auf einer Woge aus Wind, die nordwärts auf den Azur-See zurollte.
    Unter ihr erstreckte sich die konturlose Heimstatt-Ebene, deren Gras sich in grauen Wellen kräuselte, ohne von einem Haus oder Hügel gebrochen zu werden. Direkt vor ihr breitete sich der glitzernde, juwelenbesetzte Umhang von Darujhistan aus, warf einen saphirblauen Schein in den Himmel. Als sie sich der Stadt näherte, entdeckte ihr unnatürlich scharfer Blick hier und dort zwischen den Herrenhäusern, die sich auf der obersten Ebene drängten, die aquamarinblaue Emanation von Zauberei.
    Scharteke krächzte laut. Magie war Ambrosia für die Großen Raben. Der Geruch von Blut und Macht zog sie zu ihr hin, und innerhalb ihrer Aura verlängerte sich die Spanne ihres Lebens um Jahrhunderte. Doch ihr Duft zeigte auch noch andere Auswirkungen. Scharteke krächzte noch einmal. Ihr Blick blieb an einem ganz bestimmten Gebäude hängen, um das herum ein Übermaß an Schutzzaubern glomm. Sie hatte von ihrem Herrn eine genaue Beschreibung der magischen Signatur mit auf den Weg bekommen, und jetzt hatte sie gefunden, wonach sie suchte. Sie legte die Flügel leicht an und sank elegant dem Herrenhaus entgegen.
     
    Vom Hafen des Gadrobi-Viertels aus stieg das Gelände landeinwärts in vier Stufen nach Osten hin an. Insgesamt fünf mit Rampen versehene Straßen, deren Pflaster zu einem polierten Mosaik abgewetzt war, kennzeichneten die Handelsstraßen des Gadrobi-Viertels; nur sie führten durch das Marsch-Viertel und auf die nächste Stufe, das Seeufer-Viertel. Die gewundenen Wege und Gassen des Seeufer-Viertels führten zu zwölf hölzernen Toren, die sich zum Daru-Viertel öffneten, von dort aus verbanden zwölf weitere Tore - diese allerdings von der Stadtwache bemannt und mit eisernen Fallgattern versehen - die oberen Stadtviertel mit den unteren.
    Auf der vierten und höchsten Stufe standen die Herrenhäuser der Adligen von Darujhistan sowie die der öffentlich bekannten Zauberer der Stadt. Dort, wo sich der Alte Königsweg und die Aussichtsstraße kreuzten, erhob sich ein flacher Hügel, und auf diesem Hügel befand sich die Majestäts-Halle, in der sich täglich der Stadtrat versammelte. Ein schmaler Park, in dem sich sandbestreute Wege um jahrhundertealte Akazien wanden, umgab den Hügel. Am Eingang des Parks, dicht beim Hohgalgen-Hügel, stand ein wuchtiges, roh behauenes Steintor, das letzte Überbleibsel der Festung, die einst den Majestätshügel beherrscht hatte.
    Die Zeit der Könige war in Darujhistan schon lange vorbei. Das als »Wachtturm des Despoten« bekannte Tor war völlig schmucklos, und ein Gitterwerk aus Sprüngen zog sich wie die verblassende Inschrift vergangener Tyrannei über seine Oberfläche.
    Im Schatten des einzigen, mächtigen Sturzes standen zwei Männer. Der eine lehnte mit der Schulter an der Mauer; er trug eine Halsberge aus Metallringen und eine Kappe aus gehärtetem Leder mit den Abzeichen der Stadtwache. In der Scheide an seinem Gürtel steckte ein schlichtes Kurzschwert, dessen abgewetztes, lederumwickeltes Heft von langem Gebrauch zeugte. Eine Pike lehnte an seiner Schulter. Seine mitternächtliche Wache neigte sich ihrem Ende zu, und geduldig wartete er auf die Ankunft des Mannes, der ihn offiziell ablösen würde. Ab und zu warf der Wachtposten einen kurzen Blick auf den zweiten Mann, mit dem er im vergangenen Jahr häufig an diesem Platz gestanden hatte. Es waren verstohlene, ausdruckslose Blicke, die er dem gut gekleideten Mann zuwarf.
    Wie immer, wenn Ratsherr Turban Orr zu dieser nächtlichen Stunde zu dem Tor kam, hatte der Edle es kaum für nötig erachtet, die Anwesenheit des Wachmanns zur Kenntnis zu nehmen. Noch hatte er auch nur den leisesten Hinweis von sich gegeben, dass er ihn als den Mann erkannt hätte, den er dort jedes Mal angetroffen hatte.
    Turban Orr machte den Eindruck eines überaus ungeduldigen Mannes, wie er so unablässig auf und ab ging; gelegentlich blieb er kurz stehen, um seinen mit Juwelen besetzten, burgunderroten Umhang zurechtzurücken. Jeder Schritt seiner auf Hochglanz polierten Stiefel hallte als sanftes Echo unter dem Torbogen wider. Von seinem Platz im Schatten aus beobachtete der Wächter Orrs

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