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Die Gärten des Mondes

Die Gärten des Mondes

Titel: Die Gärten des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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die Älteste der Großen Raben von Mondbrut, und meine Augen haben tausend Jahre menschlicher Narretei erblickt. So sind mein zerlumptes Federkleid und mein abgebrochener Schnabel nur Beweise der willkürlichen Zerstörungswut von Euresgleichen. Ich bin nichts weiter als eine geflügelte Zeugin des ewigen Wahns der Menschen.«
    »Doch wohl mehr als eine Zeugin«, meinte Baruk mit verhaltenem Spott. »Es ist wohl bekannt, wie du und deine Artgenossen euch auf der Ebene vor den Mauern Fahls gütlich getan habt.«
    »Aber wir waren nicht die Ersten, die in Blut geschwelgt haben, mein Herr, vergesst das nicht.«
    Baruk wandte sich ab. »Nichts liegt mir ferner, als meine Artgenossen zu verteidigen«, murmelte er. Er schien mehr mit sich selbst zu sprechen als mit Scharteke, deren Worte ihn schmerzhaft getroffen hatten. Sein Blick fiel auf die Glasscherben auf dem Fußboden. Er murmelte einen Spruch und sah zu, wie sie sich wieder zusammenfügten. »Ich werde mit deinem Herrn sprechen, Scharteke.« Er nickte, als sich die Glasscheibe vom Fußboden erhob und in den Fensterrahmen zurückkehrte. »Doch sag mir, wird er meine Schutzzauber ebenso leicht überwinden wie du?«
    »Mein Herr ist geradezu besessen von Ehre und Höflichkeit«, erwiderte Scharteke wenig eindeutig. »Soll ich ihn also rufen?«
    »Tu das«, sagte Baruk und nippte an seinem Weinglas. »Ich werde einen Weg vorbereiten, auf dem er herkommen kann.«
    Von der Tür erklang ein Klopfen.
    Roald kam herein. »Da ist jemand am Tor, der Euch zu sprechen wünscht«, sagte der weißhaarige Diener. Er stellte eine Platte mit Schweinebraten auf den Tisch.
    Baruk warf einen Blick zu Scharteke hinüber und hob eine Augenbraue.
    Der Vogel plusterte sich auf. »Es ist ein ganz normaler Gast, ein ruheloser Mensch, dessen Gedanken von Machtgier und Verrat zerfressen sind. Ein Dämon namens Ehrgeiz hockt auf seiner Schulter.«
    »Wie ist sein Name, Roald?«, fragte Baruk.
    Der Diener zögerte. Der Blick seiner sanften Augen huschte immer wieder voller Unbehagen zu dem Vogel, der jetzt gemächlich auf die Platte mit dem Fleisch zutrippelte.
    Baruk lachte. »Die Worte meines weisen Gastes legen nahe, dass sie den Namen dieses neuen Besuchers bereits kennt. Also sprich nur, Roald.«
    »Es ist Ratsherr Turban Orr.«
    »Ich würde gern noch hier bleiben«, sagte Scharteke. »Falls Ihr Wert auf meinen Rat legen solltet.«
    »Oh bitte, bleib, und - ja, ich lege Wert auf deinen Rat«, erwiderte der Alchemist.
    »Ich bin nur ein Schoßhündchen«, sagte der Große Rabe listig und nahm damit Baruks nächste Frage vorweg. »Das heißt in den Augen von Ratsherr Orr. Meine Worte werden in seinen Ohren nur wie das Jaulen eines Tieres klingen.« Sie pickte ein Stück Fleisch auf und schluckte es rasch hinunter.
    Baruk stellte fest, dass er anfing, diese schäbige alte Hexe von einem Vogel zu mögen. »Führe Ratsherrn Orr herein, Roald.«
    Der Diener verschwand.
     
    Archaische Fackeln tauchten den von hohen Mauern eingefassten Garten des Herrenhauses in flackerndes Licht, warfen zuckende Schatten auf die Pflastersteine. Als eine frische Brise vom See herüberwehte und das Laub der Bäume zum Rascheln brachte, tanzten die Schatten wie Kobolde auf und ab. Im zweiten Stock des Gebäudes befand sich ein Balkon, der auf den Garten hinausging. Hinter dem geschlossenen Vorhang eines Fensters bewegten sich zwei Gestalten.
    Rallick Nom lag bäuchlings auf der Gartenmauer, in einer Nische aus Dunkelheit unter dem giebeligen Gesims des Hauses. Er beobachtete die weibliche Silhouette mit der Geduld einer Schlange. Dies war schon die fünfte Nacht hintereinander, die er auf diesem versteckten Aussichtspunkt zubrachte. Genauso viele, wie Lady Simtal Liebhaber besaß, doch er hatte zwei darunter erkannt, die besonderer Aufmerksamkeit bedurften. Beide Männer gehörten dem Stadtrat an.
    Die Glastür öffnete sich, und jemand trat auf den Balkon heraus. Rallick grinste, als er Ratsherrn Lim erkannte. Der Assassine veränderte seine Position ein wenig, schob eine behandschuhte Hand unter den Schaft seiner Armbrust; die andere glitt nach oben, um die geölte Kurbel zurückzudrehen. Den Blick fest auf den Mann gerichtet, der ihm gegenüber am Balkongeländer lehnte, legte Rallick vorsichtig einen Bolzen ein. Kurz huschte sein Blick zu der eisernen Spitze des Geschosses, als er sich ein letztes Mal vergewisserte. Das Gift glänzte feucht an den rasiermesserscharfen Kanten. Als er seine Aufmerksamkeit wieder

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