Die galante Entführung
bis Fanny sagte: »Ich war sehr dumm. Und auch schlecht. Ich hatte vor, mit ihm durchzubrennen.«
»Ich glaube, du hättest es aber dann doch nicht getan.« Fanny seufzte. »Ich weiß nicht. Manchmal dachte ich, ich brächte es nicht fertig, aber wenn ich bei ihm war – « Ihre Stimme versagte, und es dauerte eine Weile, bis sie wieder sprechen konnte. »Dann bin ich krank geworden, und er ist nicht gekommen und – und hat mir auch nicht geschrieben, selbst wenn andere Leute mich besuchen kamen. Ich wollte mir einreden, es sei deshalb, weil er Angst hätte, du würdest ihm nicht erlauben, mich zu sehen, aber ich glaube, ich wußte im Grunde… Nur hoffte ich weiter, und als mir Lavinia von Mrs. Clapham erzählte, hatte ich zuerst das Gefühl, es könne einfach nicht wahr sein, und dann war ich nicht ganz sicher, und dann – und dann kam der Brief.« Sie erschauerte. »Abby, mir ist übel von ihm geworden! Wirklich übel!«
»Er hat geschrieben, daß er es sich anders überlegt hat?«
»Nein. Ich – ich glaube, das hätte ich ertragen. Man hört ja manchmal zu lieben auf, nicht? Hätte er mir gesagt, daß er jemanden getroffen hat, der ihm besser gefällt als ich… Aber das hat er nicht. Vor meiner Krankheit war ich nur ein dummes Schulmädchen, aber jetzt werde ich erwachsen, und ich werde nie wieder hereinfallen.«
Abby war nicht versucht zu lächeln. Sie sagte: »Ich hoffe, niemand wird es je wieder probieren, dich auf den Leim zu führen, Liebste.«
»Nein, denn ich habe nicht das Gefühl, daß ich mich je wieder verlieben werde. Mein Onkel hat ihn gestern aufgesucht, nicht? Abby, du hast doch nicht den Onkel gerufen, nicht wahr?«
»Ich habe das nicht nur keinesfalls getan, sondern bin mit ihm aneinandergeraten, als er noch keine zehn Minuten im Haus war.«
»Ich dachte ja, du könntest so etwas nicht tun. O Abby, ich bitte dich um Entschuldigung. Ich war gräßlich böse und unfreundlich, aber ich habe es nicht so gemeint! Ich liebe dich mehr als irgend jemanden sonst auf der Welt!«
»Dann werde ich mich wirklich möglichst bemühen, dir zu verzeihen!«
Ein dünnes Kichern begrüßte dieses Witzchen. »Ich bin so froh, daß ich dich noch immer habe. Für immer, Abby!« Sie hob Abbys Hand an ihre Wange und schmiegte diese hinein. »Ich liebe Tante Selina natürlich auch, aber auf – auf eine pflichtgetreue Art. Ich könnte es nicht ertragen, hier weiterzuleben, wenn es nur Tante Selina gäbe.«
Das hörte sich Abby mit gemischten Gefühlen an. Obwohl es ihr das Herz erwärmte, ließ es auch gleichzeitig ihren Mut sinken. Das Bild Miles Calverleighs schien immer weiter in die Ferne zu rücken.
»Ich habe den Brief verbrannt«, sagte Fanny unvermittelt. »Und die Haarlocke auch. Glaubst du, ich sollte es ihm schreiben?«
»Oh, das täte ich nicht. Es ist viel würdevoller, ihn überhaupt nicht zu beachten.«
»J-ja, nur – « Ihre Brust hob sich. »Er sagt, er wird die meine bis zu seinem Todestag aufheben, zum Andenken an das einzige Mädchen, das er je wirklich liebte! Und das war es, wovon mir so übel wurde.«
»Das überrascht mich nicht – mir wird auch übel dabei.«
»Und er gibt vor, daß er mich um meinetwillen aufgibt, weil er, seit er mit meinem Onkel gesprochen hat, erkennt, daß er keine Hoffnung hat, dessen Zustimmung zu erlangen. Es wäre sehr unrecht von uns, wenn wir ohne sie heirateten, und er fürchtet, ich könnte es bereuen, und – Abby, es war falsch, jedes einzelne Wort! Ich hätte nicht geglaubt, daß er mir so ein Zeug schreiben könnte! Und zu denken, daß ich so eine dumme Gans war, mich derart auf den Leim führen zu lassen! Denn er wußte doch gleich von Anfang an, daß mein Onkel nie einwilligen würde, und du auch nicht, und deshalb wollte er ja mit mir durchbrennen!« Sie setzte sich auf, die Augen flammend und die Wangen rot vor Empörung, die Hände zu Fäusten geballt. »Ich hasse ihn! Ich kann mir nicht vorstellen, wie ich mich je in ihn verlieben konnte!«
Abby war nur zu froh, sie in diesem Gemütszustand bestärken zu können. Fanny wütete eine Zeitlang, aber diese Stimmung konnte natürlich nicht anhalten. Plötzlich warf sie sich in einem neuen Anfall von Kummer Abby wieder in die Arme und weinte: »Was soll ich bloß tun? O Abby, ich bin so unglücklich! Was soll ich bloß tun?«
»Nun, ich glaube, das Beste wäre, Dr. Rowtons Rat zu folgen«, antwortete Abby.
»Verreisen? O nein! Ich will nicht fort! Ich kann nicht! Ich will nicht!«
»Sicher
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