Die galante Entführung
feindselig, jedoch bereit, jederzeit die Haare zu sträuben. Es wäre zweck- und sinnlos gewesen, sich mit ihr anzulegen, meinte Abby, und hielt daher Frieden.
3
Mr. Calverleigh tauchte in jener Woche weder in Bath auf, noch schrieb er Fanny. Abby begann schon die Hoffnung zu hegen, daß man tatsächlich aus einer Mücke einen Elefanten gemacht und er sich bloß mit einem Flirt amüsiert hatte. Sie hätte auch halbwegs mit Gleichmut Fannys dahinwelkende Stimmung ertragen, wäre ihr nicht von der liebenswürdigen Lady Weaversham enthüllt worden, daß Ihre Gnaden einen sehr korrekten Brief von Mr. Calverleigh erhalten hatte, in dem er sich" entschuldigte, daß er am folgenden Mittwoch nicht mit ihr speisen könne, jedoch bestimmt Ende nächster Woche wieder in Bath weilen und dann am Lower Camden Place vorsprechen würde, um sich persönlich zu entschuldigen.
Diese Neuigkeit dämpfte Abbys Optimismus. Er wurde durch die mit fadendünner Stimme vorgetragene Ankündigung Selinas weiter gedämpft, sie habe sich eine von Fieber, heftigen Kopfschmerzen und einer kolikartigen Störung begleitete eitrige Halsentzündung zugezogen. Sie habe die ganze Nacht kein Auge zugetan und könne nur hoffen, daß diese schmerzhaften Symptome nicht eine Krankheit ankündigten, die, wenn auch nicht unmittelbar tödlich, sie doch dazu verdammen würde, ihr ferneres Leben zwischen Bett und Sofa dahinzuschleppen. Abby teilte zwar diese düsteren Befürchtungen nicht, sandte aber doch unverzüglich nach dem neuesten Arzt, der sich Selinas Gunst erfreute. Sie bat ihn, die Leidende nicht in der Meinung zu ermutigen, daß sie am Grabesrand dahinschwanke. Er versprach, Selina zu beruhigen, und verlor fast seine lukrativste Patientin, als er ihr aufmunternd sagte, es habe sie nichts Schlimmeres betroffen, als etwas, das er wirklich taktlos nur als eine Spur von Influenza bezeichnete. Bevor er noch Zeit hatte, eine schnelle Genesung zu prophezeien, erkannte er, daß er einem Irrtum verfallen war. Mit einer Geschicklichkeit, die Abby wider Willen anerkennen mußte, eroberte er seine Stellung mit dem Ausspruch zurück, daß er üblicherweise diese Krankheit für geringfügig halten würde, wenn sie jedoch eine Person von so zarter Konstitution wie diejenige der Miss Wendover überfiel, müsse die größte Sorgfalt geübt werden, um sicherzustellen, daß sie keine ernsten Folgen zeitigte. Er empfahl Miss Wendover, im Bett zu bleiben, versprach, ihr in Stundenfrist ein Gurgelmittel zu schicken; er billigte Heilmittel wie Malzextrakt gegen einen möglichen Husten; Ziegenmolke als Schutz gegen Schwindsucht; Laudanumtropfen im Fall von Schlaflosigkeit; und eine Diät aus Hammelbrühe, Tapioka-Gelee und Gerstenwasser, alles, das Selina selbst vorschlug. Er verließ das Krankenzimmer in ziemlicher Gewißheit, daß er ihren schwankenden Glauben an sein Können wiederhergestellt hatte. Entschuldigend sagte er zu Abby, weder diese Heilmittel noch die deprimierende Diät würden schaden. Damit mußte sie sich zufriedengeben und sich in das Unvermeidliche fügen. Sie versuchte soviel Trost wie möglich aus der Überlegung zu erlangen, daß zumindest einige Tage lang, während sie um ihre Schwester herumtanzen mußte, keine Gefahr bestand, daß Mr. Calverleigh seinen Einfluß auf Fannys jugendliche Gefühle verstärken konnte.
Die älteste Miss Wendover zeigte alle Anzeichen dafür, daß sie eine längere Krankheit zu genießen gedachte. Obwohl das Fieber bald nachließ, blieb ein Hustenreiz zurück, und nach einem Anfall von Sodbrennen deutete sie ihrer Umgebung so oft düster etwas über Herznerven an, daß Fanny ganz aufgeregt wurde und Abby fragte, ob das Herz der armen Tante Selina wirklich angegriffen sei.
»Nein, Liebes, überhaupt nicht«, antwortete Abby heiter.
»Aber – Abby, ich frage mich manchmal – Abby, ist Tante Selina eigentlich gern krank?«
»Natürlich! Warum auch nicht? Sie hat ja schließlich sehr wenig, was sie unterhalten könnte. Außerdem wird sie dadurch zum Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, und wie unfreundlich wäre es doch, ihr das nicht zu gönnen! Die traurige Wahrheit ist, mein Liebes, daß unverheiratete Frauen ihres Alters fast gezwungen sind, sich gefährliche Krankheiten zuzulegen, wenn sie Gegenstand des Interesses werden wollen. Übrigens nicht nur alte Jungfern! Du wirst doch bestimmt beobachtet haben, wie viele Ehefrauen, deren Kinder alle verheiratet sind und die in so guten Verhältnissen leben, daß sie wirklich
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