Die galante Entführung
folgt durchaus nicht daraus. Da er selbst schwer in der Klemme saß, hätte er wahrscheinlich sehr viel dagegen gehabt. Aber er starb, bevor Stacy großjährig wurde, also werden wir es nie erfahren. Soweit ich nach meiner eigenen Erfahrung urteilen kann, könnte sich Stacy in Oxford in Schulden gestürzt, wohl aber kaum ganz ruiniert haben – falls er natürlich nicht ein hundertprozentiger Schurke war. Das scheint er aber, Ihrer Erzählung nach, nicht zu sein.«
»Waren Sie denn in Oxford?« fragte sie neugierig.
»Eher draußen – hinausgeschmissen«, antwortete er freundlich.
Sie unterdrückte ein Lachen, und nach einem kurzen Kampf gelang es ihr, herauszubringen: »Was – was immer Ihre Jugendsünden gewesen sein mögen, Sir, so muß ich doch annehmen, daß Sie ihnen entwachsen sind und – und ich kann es einfach nicht glauben, daß Sie wünschen könnten, Ihr Neffe – der Chef Ihres Hauses! – solle – solle sein Vermögen wiederherstellen, indem er ein Mädchen – oh, ein Kind! – zu einer heimlichen Heirat verführt!«
»Aber wenn der arme Bursche in der Tinte sitzt, was kann er denn sonst tun?« fragte er.
Sie sagte zähneknirschend: »Von mir aus kann er tun, was er will, nur nicht meine Nichte heiraten! Bestimmt – bestimmt sehen Sie ein, wie – wie falsch das wäre.«
»Ich muß sagen, es erscheint mir wirklich dumm«, stimmte er ihr zu. »Er sollte sein Interesse lieber einem Mädchen zuwenden, das bereits im Besitz seines Vermögens ist.«
»Guter Gott, ist das alles, was Sie dazu zu sagen haben?« rief sie.
»Nun, was erwarten Sie denn, daß ich sage?« fragte er.
»Sagen! Ich – ich erwarte, daß Sie etwas tun!«
»Was denn tun?«
»Dieser Affäre ein Ende setzen!«
»Wie?«
»Mit Ihrem Neffen reden – ihm sagen – oh, ich weiß nicht! Sie müssen doch imstande sein, sich etwas auszudenken!«
»Das bin ich nicht. Außerdem, warum sollte ich es tun?«
»Weil es Ihre Pflicht ist! Weil er Ihr Neffe ist!«
»Da werden Sie sich einen besseren Grund ausdenken müssen. Ich habe Stacy gegenüber keine Pflicht, und ich glaube nicht, daß ich mit ihm reden würde, selbst wenn das so wäre.«
»Mr. Calverleigh, Sie können doch nicht wünschen, daß Ihr Neffe so völlig unter jede Kritik sinkt!«
»Wünschen? Ich habe in der Angelegenheit überhaupt keinerlei Gefühle. Ja, es kümmert mich keinen Deut, was er tut. Wenn Sie also von mir erwarten, daß ich ihn zur Ordnung rufe, dann tun Sie das lieber nicht.«
»Sie sind ein unmöglicher Mensch!« rief sie und stand auf.
»Vermutlich, aber ich will verdammt sein, wenn ich Ihnen zu Gefallen Moral predige. Da würde ich ja einen netten Narren aus mir machen! Mir gefällt es, wie Ihre Augen funkeln, wenn Sie zornig sind!«
Auf diesen Ausspruch hin funkelten sie nicht nur, sondern blitzten ihn an, bevor Abby sich heftig umdrehte und hinausging.
Die Leavenings waren vergessen; erst als Abby den Laura Place erreichte, erinnerte sie sich daran, daß der Brief, den sie geschrieben hatte, auf dem Schreibtisch liegengeblieben war. Sie konnte nur hoffen, daß er gefunden und Mrs. Leavening übergeben wurde. Ihr schäumender Zorn hatte sich mittlerweile etwas gelegt, und sie vermochte ihre Unterredung mit Mr. Miles Calverleigh in etwas gemäßigterer Stimmung Revue passieren zu lassen. Sie verlangsamte ihr Tempo und ging zur Great Pulteney Street weiter, so tief in Gedanken versunken, daß sie den Gruß, der ihr von der anderen Straßenseite von ihrem geistlichen Verehrer, Kanonikus Pinfold, entboten wurde, nicht zur Kenntnis nahm und daher auch nicht erwiderte. Etwas so Außergewöhnliches, daß es den Sehr Hochwürdigen Herrn veranlaßte, sein Gewissen einer strengen Erforschung zu unterziehen, um zu entdecken, womit er Abby wohl verletzt haben konnte.
Es dauerte nicht lange, bis Miss Abigail Wendover, die sich nie selbst betrog, erkannte, daß der abscheuliche Mr. Miles Calverleigh sie seltsam anzog. Mit seinen eigenen sorglosen Lippen hatte er sich als eine der Achtung völlig unwürdige Person verurteilt. Aber wenn sie sich die Dinge ins Gedächtnis zurückrief, die er zu ihr gesagt hatte, stieg ein nicht zu unterdrückendes Gelächter in ihr auf. Eine nur sehr kurze Überlegung jedoch genügte, um sie erröten zu lassen. Es war nicht zum Lachen, und sie mußte seltsam verdorben sein, daß sie bei der kühlen Aufzählung seiner Missetaten auch nur die geringste Neigung zum Lachen verspürt hatte. Sie hatte gewußt, daß er aus Eton
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