Die galante Entführung
jedoch, daß Stacys Lächeln seine Augen nicht erreichte. Sie glaubte etwas Abschätzendes in Ihnen zu erkunden, und hatte den Verdacht, daß er sie genau beobachtete, um zu entdecken, ob er einen guten oder schlechten Eindruck auf sie machte.
Leichthin sagte sie: »Das scheint kein genügender Grund für Ihre Angst zu sein, Sir.«
»Nein, und es ist leeres Geschwätz«, sagte Fanny. »Wie können Sie nur einen solchen Unsinn zusammenreden, Stacy?«
»Es ist kein Unsinn. Miss Abigail liebt Sie und muß mich Ihrer für unwürdig halten – für einen unverschämten Hansdampf, daß ich je davon träumte, Ihre Hand anzustreben!« Er lächelte wieder und sagte schlicht: »Auch ich bin dieser Meinung, Ma’am. Niemand weiß besser als ich, wie unwürdig ich bin.«
Ein sentimentaler Seufzer und ein undeutliches Gemurmel von Selina verrieten, daß sie dieses freimütige Eingeständnis tief rührte. Auf Abby übte es eine andere Wirkung aus. »Ein Versuch, mir den Wind aus den Segeln zu nehmen, Mr. Calverleigh?« fragte sie.
Wenn er aus der Fassung gebracht war, so verriet er es nicht, sondern antwortete sofort: »Nein, aber vielleicht – das Wort aus Ihrem Mund?«
Insgeheim gestand sie ihm zu, daß er sehr geschickt war, aber sie sagte nur: »Sie irren; so unhöflich bin ich nicht.«
»Und es ist auch nicht wahr!« erklärte Fanny leidenschaftlich. »Ich werde niemandem erlauben, so etwas zu sagen – nicht einmal dir, Abby!«
»Nun, ich habe es ja nicht gesagt, meine Liebe, noch ist es wahrscheinlich, daß ich es täte, also brauchst du wirklich nicht hochzugehen! Sagen Sie mir, Mr. Calverleigh, haben Sie Ihren Onkel schon kennengelernt?«
»Meinen Onkel?« wiederholte er. Er blickte Fanny fragend an. »Aber was soll das? Schon Sie, Fanny, haben gesagt, als ich hereinkam, Sie dächten, ich sei mein Onkel! Der einzige Onkel, den ich habe – falls ich ihn noch habe –, lebt am anderen Ende der Welt!«
»Nein, das tut er nicht«, antwortete Fanny. »Ich meine, nicht jetzt. Er hat Lavinia Grayshotts Bruder aus Kalkutta heimgebracht und ist hier, im York House.«
»Guter Gott!« sagte Stacy verblüfft.
»Er ist Ihnen überhaupt nicht ähnlich, aber sehr angenehm, nicht wahr, Tante Selina?«
»Ja, wirklich«, stimmte ihr Selina zu. »Er ist ziemlich seltsam – so formlos, aber ich bin überzeugt, das kommt daher, weil er so lange in Indien gelebt hat. Das scheint mir zwar überhaupt nicht der Ort zu sein, wo irgend jemand leben möchte, aber das war schließlich nicht seine Schuld, der Arme. Und er ist ein vollkommener Herr!«
»Ich freue mich, wenigstens das zu hören!« sagte Stacy kläglich. »Ich bin ihm noch nie begegnet, aber ich wünschte von Herzen, er wäre an einem anderen Ort. Ich fürchte, er könnte das wenige Wohlwollen zerstören, das ich vielleicht bei Ihnen genieße! Ach, kurz heraus gesagt, er ist das schwarze Schaf der Familie!«
»Oh, ich stelle mir vor, Sie kennen ihn doch!« sagte Abby gereizt. »Ich gestehe, er kann sich nicht daran erinnern, meint jedoch, er könnte Sie gesehen haben, als Sie noch ein, wie er es formulierte, schmieriger Fratz waren!«
Er warf ihr einen schnellen Blick zu, sagte jedoch wieder lächelnd: »Sehr wahrscheinlich! Man kann mir keinen Vorwurf daraus machen, wenn ich es vergessen habe, nicht wahr? Ich möchte wissen, was ihn nach England zurückgeführt hat?«
»Aber ich habe es Ihnen doch gesagt!« erinnerte ihn Fanny. »Er hat den armen Mr. Oliver Grayshott heimgebracht! Und er hat sich so gut um ihn gekümmert, daß Mrs. Grayshott das Gefühl hat, sie könne ihm nicht genug dankbar sein. Was Oli – was Mr. Grayshott betrifft, so sagt er, Mr. Calverleigh sei ein Trumpf-As, und will kein abträgliches Wort über ihn hören!«
»Immer schlimmer!« erklärte er mit einer komischen Grimasse. »Praktisch ein Kammerdiener. Eine schwache – eine sehr schwache – Hoffnung, daß er es in Indien zu einem Vermögen gebracht hat, welkt gleich von Anfang an dahin!«
»Viel kann dem verlorenen Sohn verziehen werden, der mit wohlgefüllten Taschen zur Herde zurückkehrt, nicht wahr?« sagte Abby.
»Oh, alles!« versicherte er fröhlich. »Das ist nun einmal der Lauf der Welt, Ma’am!«
»Sehr unrecht – sehr unanständig«, warf Selina ein und versuchte, nicht sehr erfolgreich, ihre unzusammenhängenden Gedanken in verständliche Worte zu kleiden. »Ich meine – ich meine, Geld sollte nicht und kann auch nicht einen Ruf wiederherstellen! Und von einem Mann, der
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