Die galante Entführung
Tag unsicher gewesen, und als er York House erreichte, hatte es wieder zu regnen begonnen. In der Luft lag eine feuchte Kühle, die den Anblick eines kleinen Feuers im Kamin des Privatsalons von Mr. Miles Calverleigh nicht unwillkommen machte. Mr. Calverleigh saß neben dem Kamin, die Fesseln auf einer Fußbank gekreuzt und eine Zigarre zwischen den Fingern. Als der Kellner Stacy meldete, blätterte er eben in einer Zeitung, aber nachdem er sie gesenkt und einen kritischen Blick auf seinen Neffen gerichtet hatte, warf er sie beiseite und sagte im Ton toleranten Vergnügens: »Guter Gott! Bist du mein Neffe?«
»So hat man es mir zu verstehen gegeben«, antwortete Stacy mit einer leichten Verbeugung. »Falls Sie wirklich Miles Calverleigh sind?«
»Der bin ich, aber das soll dich nicht kränken«, sagte Miles freundlich. »Du schlägst deinem Vater nicht sehr nach – vor allem war er nicht so tipptopp beisammen. Hatte nicht die Figur dazu. Ich nehme an, diese gelben Schläuche sind jetzt der letzte Schrei?«
»Oh, entschieden!« sagte Stacy, dessen primelgelbe Kniehose tatsächlich erstklassig war. Er legte seinen Hut und die Handschuhe sowie seinen moirierten Spazierstock auf den Tisch. »Ich war nicht in Bath, sonst hätte ich Sie früher besucht. Sie müssen meine scheinbare Säumigkeit entschuldigen.«
»Nun, das fällt mir nicht schwer. Ich habe nicht im leisesten erwartet, dich zu sehen.«
»Man möchte einem so engen Verwandten gegenüber nicht gern seine Aufmerksamkeit versäumen«, sagte Stacy etwas hochmütig.
»Was – nicht einmal einem Verwandten gegenüber, bei dem etwas nicht in Ordnung ist? Komm, komm, Neffe! Das ist denn doch zu dick aufgetragen! Du fragst dich, was, zum Teufel, mich herführt, und wünschst, daß ich nicht hier wäre!« Er lachte, als er sah, daß er Stacy verblüfft hatte, und sagte: »Klettere von deiner Höhe herab und versuche, nicht so förmlich mit mir zu sein. Ich habe nichts für Steifheit übrig. Du schuldest mir nämlich weder Achtung noch Rücksicht. Setz dich und schütte dein Herz aus!«
»Nun, Sir – was hat Sie wirklich nach England heimgeführt?« fragte Stacy mit einem gezwungenen Lächeln.
»Neigung. Zigarre?«
»Danke, nein!«
»Schnupftabak also, ja? Du wirst noch mit gelben Flecken um die Nase enden, aber bis dahin hast du vermutlich längst deine Erbin geangelt, also macht es dann nichts mehr.«
Stacy sagte, sich schnell verteidigend: »Ich weiß nicht, was Sie – wer jhnen erzählt hat – «
»Spiel nicht den Narren! Miss Wendover hat es mir erzählt – Miss Abigail Wendover –, und ich stelle mir vor, daß es mit deiner Bewerbung nicht weit kommen wird.«
»Nicht, wenn die etwas dazu zu sagen hat!« sagte Stacy, und seine Stirn umwölkte sich. »Ich glaube, sie ist mir feindlich gesinnt. Ich habe sie heute erst kennengelernt, und es ist sehr offenkundig, daß sie mich aus dem Sattel hebt, wenn sie kann!«
»Kein Zweifel. Ich kann dir von jemandem anderen erzählen, der dich wahrscheinlich an die Luft setzt, und das ist James Wendover.«
»Oh, der!« sagte Stacy achselzuckend. »Er kann es ja versuchen, aber es wird ihm nicht gelingen. Fanny kümmert sich keinen Deut um ihn. Aber diese verfluchte Tante ist etwas anderes. Fanny – « Er brach ab, weil er plötzlich merkte, daß er sich zu einer Taktlosigkeit hatte hinreißen lassen, und rief sein knabenhaftes Lächeln zu Hilfe. »Die Sache ist so, daß Fanny wirklich eine Erbin ist. Man kann ihrer Familie keinen Vorwurf daraus machen, daß sie eine glänzende Partie für sie wünscht, aber wenn man sehr innig liebt, bedeuten Überlegungen über Reichtum und Rang nichts.«
»Nun, mit siebzehn kann sich ein Mädchen noch einbilden, es liebe sehr, aber meiner Erfahrung nach dauert diese Leidenschaft nicht an«, bemerkte Miles zynisch. »Du wirst mir doch nicht erzählen, daß Überlegungen finanzieller Art für dich nichts bedeuten, oder?«
Unter diesem ironischen Blick erstarrte das Lächeln Stacys; er sagte zornig: »Verdammt, wie kann ich ein Mädchen ohne Vermögen heiraten?«
»Meiner Meinung nach kannst du das wirklich nicht. Wie ich höre, ist dein Fundament zu einem Nichts zusammengeschrumpft.«
»Wer hat Ihnen das erzählt?« fragte Stacy mißtrauisch. »Ich wußte nicht, daß Sie Bekannte in England haben.«
»Wie solltest du auch? Ich habe sie, aber es war Letty, die mir erzählte, daß du völlig in der Luft hängst.«
»Meinen Sie damit meine Großtante Kelham?« fragte
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