Die galante Entführung
Mein Vater hatte sogar den Verdacht, daß ich als Kind vertauscht worden sei. Eine köstliche Theorie, aber ohne Begründung, fürchte ich.« Er warf den Stummel seiner Zigarre ins Feuer, stand auf und dehnte seine langen Glieder. Seine hellen Augen blickten mit einem schwer zu deutenden Ausdruck auf Stacy hinunter. »Hast du Danescourt schon verloren?« erkundigte er sich.
Stacy lachte kurz auf. »Guter Gott, welcher Mensch mit Verstand würde etwas auf diese verdammte Baracke wagen? Sie ist bis übers Dach voller Hypotheken und zerfällt außerdem zur Ruine. Es war schon belastet, als mein Vater starb, und ich kann es nicht zustande bringen. Ich hasse es – ich würde keinen Pfennig darauf verschwenden!«
»O Schatten unserer Ahnen!« sagte Miles leichthin. »Die müssen sich ja im Grab umdrehen. Vielleicht bist du ein Wechselbalg. Oder hast du mich in der Hoffnung besucht, daß ich deinem gesunkenen Glück wieder aufhelfen kann?«
»Kaum!« sagte Stacy und warf einen Blick auf die Person seines Onkels. »Man erzählte mir, Sie seien als Bärenführer von Mrs. Grayshotts Sohn heimgekehrt, was mich nicht dazu veranlaßt anzunehmen, daß Sie in Moneten schwimmen! Ich hoffe zu Gott, es sickert nicht durch!«
»Oh, das glaube ich nicht!« sagte Miles beruhigend. »Aber du hast das falsch mitbekommen: Ich war nicht sein Bärenführer. Ich habe die Pflichten eines Krankenpflegers mit denen eines Kammerdieners verbunden.«
»Guter Gott! Wenn das bekannt würde -! Ich wollte, Sie zögen meine Stellung in Betracht, Sir!«
»Aber warum sollte ich?«
»Nun, verdammich, schließlich bin ich Ihr Neffe!« sagte Stacy empört. »Und Sie ja schließlich doch ein Calverleigh!«
»Aber durchaus nicht hochmütig, versichere ich dir. Was unsere Verwandtschaft betrifft, so kann dir niemand einen Vorwurf daraus machen, daß du mein Neffe bist – ich kann es ja auch nicht –, wenn es dich aber ärgert, dann bekenne dich nicht zu mir!«
»Das mag ja Ihnen lustig vorkommen«, erwiderte Stacy und wurde rot, »aber ich erlaube mir, Ihnen zu sagen, Sir, daß es für mich nicht sehr erfreulich ist, Sie hier in Bath zu haben, noch dazu, wie Sie aussehen! Wie – oh, zum Teufel, wie ein regelrechter Rohdiamant!« Er stand auf und nahm seinen Hut. »Ich weiß nicht, wie lange Sie in Bath bleiben wollen, aber ich vermute, Sie sind sich bewußt, was die Preise in diesem Hotel sind!«
»Verschwende darauf keinen Gedanken«, sagte Miles. »Ich werde nicht auf deinen Namen aufschreiben lassen. Sollte ich in einen Engpaß geraten, kann ich ja noch immer das Weite suchen.«
»Sehr lustig, Sir!« fuhr ihn Stacy an und nahm Handschuhe und Spazierstock vom Tisch. »Diener!«
Er verbeugte sich leicht und verließ das Zimmer. Er war derart aufgebracht, daß er den Weißen Hirschen erreicht hatte, bevor sein Zorn genügend abgekühlt war, um ihm die Überlegung zu erlauben, ob es klug gewesen war, sein Temperament mit sich durchgehen zu lassen. Er war von Natur aus kein ausgeglichener Mensch, hatte jedoch die lächelnde Miene ständig guter Laune kultiviert, weil er wußte, daß sie für jeden, der am Rand der Gesellschaft lebte, genauso wie sein schönes Gesicht ein großer Vorzug war. Er verriet selten Gereiztheit oder verlor die Haltung, selbst bei der ernsten Herausforderung nicht, von jemandem Hochstehenden eine Abfuhr zu bekommen, in dessen Kreis er sich einzudrängen suchte, oder dem hochmütigen Anstarren einer großen Dame, deren Gunst er zu gewinnen versuchte. Er begann über sich selbst ärgerlich zu werden und sich zu fragen, welche Eigenschaft an seinem Onkel ihn so in die Höhe gebracht hatte. Es dauerte jedoch einige Zeit, und auch dann dämmerte ihm nur zögernd, daß er das Gefühl bekommen hatte, er sei ein kleiner Mensch. Das hatte nichts mit Miles’ überlegener körperlicher Größe und noch weniger mit dessen Art zu tun, nicht mit ihm als seinem Neffen, sondern als einem Gleichaltrigen zu reden, der ihm gleichgültig war. Wenn sich Stacy ins Gedächtnis rief, wie Miles bequem hingelümmelt war und ausgesehen hatte, als habe er sich nur so aufs Geratewohl angezogen, in einer unmodernen Jacke, mit gelockertem Halstuch und einer fürchterlichen Zigarre zwischen den langen braunen Fingern, spürte er, wie sich sein Trotz neuerlich regte. Er und nicht sein verrufener Onkel hätte Herr der Situation sein sollen, aber auf irgendeine geheimnisvolle Weise war ihm das Gefühl vermittelt worden, als sei er linkisch. Er hatte
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