Die Galerie der Lügen
Ende spiegelt sich bereits im Anfang wider. Es hat mit einer zerstörten Skulptur begonnen. Danach wurden Gemälde geraubt. Wäre es abwegig anzunehmen, dass zum Schluss wieder eine Figur dran glauben muss?«
Ruckartig zog Alex ihre Hände vom Tresen und krallte sie im Schoss ineinander.
»Also ja«, interpretierte Darwin ihre Körpersprache. Wieder versenkte er den Blick in die Liste. Sein Finger wanderte die einzelnen Positionen ab. »Vollkommenheit«, murmelte er. »Ein vollkommenes Meisterwerk eines Bildhauers. Welches käme dafür in Frage? Es müsste so bedeutend sein wie die Mona Lisa…?« Unvermittelt verharrte sein Zeigefinger unter einem sehr kurzen Namen.
Alex wagte nicht den Blick zu senken, weil sie fürchtete Darwin allein dadurch an Theos Messer zu liefern. Doch mit ihrem erhobenen Kinn und dem Schielen über die Nasenspitze hinweg sah sie nur um so auffälliger aus. Ihr Herz schlug schneller, als sie die fünf Buchstaben über seinem Finger entzifferte.
Er schüttelte den Kopf. »Nein, das passt nicht zur Farbe der…«
»Wieso nicht?«, platzte sie heraus.
»Du hast mir gerade bestätigt, Blau sei weiblich belegt, was man von diesem Burschen hier weiß Gott nicht sagen kann.« Er sah erst in die Liste. »Die erste Figur war ein Hermaphrodit.« Dann wieder in ihr gespanntes Gesicht. »Könnte die Verbindung des weiblichen Blau mit unserem männlichsten aller in Marmor gehauenen Männer hier… dasselbe symbolisieren? Einen Hermaphroditen?«
Alex schöpfte Atem, verharrte einen Moment in Zweifeln, sagte dann aber doch mit leiser beschwörender Stimme: »Du hast gelernt, wie das › Gehirn ‹ zu denken. Jetzt lasse dich nicht länger von dem täuschen, was du siehst, sondern vertraue dem, was du fühlst.«
Er riss sich von ihren Augen los und blickte kopfschüttelnd in die Liste. »Mein Gott, er hat es auf den Michelangelo abgesehen! Dieser Wahnsinnige will tatsächlich den David zerstören.«
Als die Fahrstuhltüren sich im siebten Stock des ArtCare Building öffneten und die zwei in die Chefetage traten, fuhr Alex vor Schreck zusammen.
»Alles in Ordnung?«, fragte Darwin.
»Ja«, hauchte s ie. »Ich hatte nur gerade ein Dé j à -vu.«
»Was?« Er sah sich verwirrt um. Mit einem Mal hellte sich seine Miene auf. »Hier blitzt und blankt es wie in deinem Stallhaus. Das hat dich überrascht, stimmt’s?«
»Wie in meinem ehemaligen Haus«, verbesserte sie ihn. »Der Architekt und ich haben anscheinend den gleichen Geschmack.«
»Was du in diesem Stockwerk siehst, wurde ausnahmslos von Cadwell entworfen. Er ist ein Ästhet. In seinem Büro wirst du auch einige Akte sehen, die ebenfalls von ihm modelliert wurden. Ganz unbegabt ist er nicht.« Flüsternd fügte Darwin hinzu: »Jedenfalls hält er sich für genial. Er hat sich sogar einen Künstlernamen zugelegt.«
Das Paar steuerte direkt auf Reena Bakers Schreibtisch zu. Die Vorstandssekretärin trug ein groß kariertes, schwarz-weißes Kostüm im Stil von Coco Chanel. Darwin begrüßte sie mit einem lockeren Spruch und stellte sodann seine Begleiterin vor.
Alex fühlte sich von der Sekretärin intensiv gemustert. Was bedeutete dieser Blick? Es war nicht das Monsterding. Eher ein… Erkennen? Nein, das konnte nicht der Grund sein, denn selbst wenn diese Frau die Berichterstattung der Medien in letzter Zeit nur oberflächlich verfolgt hatte, musste sie das Enfant terrible Alex Daniels gesehen und von ihm gehört haben.
»Dr. Cadwell erwartet Sie bereits«, erklärte Reena in auffallend förmlichem Ton. Sie drückte eine Taste auf ihrem Telefon, lauschte in den Hörer und erklärte lächelnd. »Er telefoniert gerade.«
»Na, das ist ja mal was Neues, Mrs Moneypenny«, sagte Darwin grinsend.
Sie verschoss einen kleinen bösen Blick in seine Richtung und erhob sich hinter ihrem Schreibtisch. »Wenn Sie sich einen Moment gedulden könnten…?«
Auf hohen Absätzen stöckelte sie zur Schallschlucktür, um die Ankunft der Besucher zu melden.
Alex blickte nach rechts, wo sich hinter einer milchigen Glaswand ein Schemen bewegte.
»Jack Jordan«, raunte Darwin wie ein Bauchredner, fast ohne seine Lippen zu bewegen. Er hatte ihr während des Frühstücks von Cadwells Bodyguard, dem S ohn des Militärarztes James Jor dan, erzählt.
»Sie können jetzt hereinkommen. Dr. Cadwell wird gleich Zeit für Sie haben«, sagte die Sekretärin. Sie hielt mit dem rechten Arm die schwere Tür geöffnet und winkte die Besucher mit der Linken ins
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