Die Galerie der Lügen
es doch. Das australische Schnabeltier, das seine Jungen säugt, aber wie ein Reptil Eier legt…«
»Ornithorhynchus anatinus, Dr. Cadwell, ist kein Zwischenglied, sondern eine eigene Art mit einer Reihe ganz spezieller Fähigkeiten. Sein Schnabel beispielsweise ist nicht der einer Ente, wie manchmal suggeriert wird, sondern ein in Beschaffenheit und Funktion sehr spezifisches Instrument mit hoch sensiblen Sinnesrezeptoren, die auf elektrische Reize reagieren. Es ist ein typisches Exempel für Mosaikformen.«
Alex bemerkte einen unwilligen Ausdruck auf Cadwells Gesicht, wie sie ihn schon oft gesehen hatte, wenn sie unterschätzt worden war und ihr Opponent sich plötzlich in seiner eigenen Argumentation gefangen sah.
»Sie können nicht abstreiten, dass sowohl Schnabeltier als auch Schnabeligel viele Kennzeichen ihrer reptilischen Vorfahren beibehalten haben«, sagte Cadwell lahm.
Alex konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. »Ähnlichkeiten mit einigen Reptilienmerkmalen bedeuten nicht zwangsläufig Abstammung – die Natur ist voll von Analogien. Ein Missing Link erwartet man entwicklungsgeschichtlich genau dann, wenn eine neue Gruppe erscheint, zu der es die Brücke bilden kann. Fossile Schnabeltiere sind aber erst seit dem Pleistozän bekannt, nach herrschender Ansicht also seit ein bis zwei Millionen Jahren. Die angeblichen Säugetiervorfahren tauchten dagegen schon im Perm auf, nach radiometrischer Datierung etwa zweihundertfünfzig Millionen Jahre früher. Sie kommen um die unbequeme Wahrheit nicht herum: Der Fossilbericht spricht sich gegen die Existenz kontinuierlicher Übergangsserien aus.«
»Weil er verschwindend klein ist, im Vergleich zu der Anzahl Lebewesen, die es in den Erdzeitaltern gegeben hat.«
»Kommen Sie, Dr. Cadwell! Diesen Einwand konnte sich vor einhundertfünfzig Jahren vielleicht noch Charles Darwin erlauben, weil man zu seiner Zeit tatsächlich vergleichsweise wenige Versteinerungen gefunden hatte. Heute ist das anders. Im Naturhistorischen Museum hier in London lagern Versteinerungen von sieben Millionen Organismen! Und wissen Sie, was der große Paläontologe Collin Patterson einmal sehr leise gesagt hat: Wüsste ich von gerade einer fossilen Übergangsform, ich hätte sie im Museum ausgestellte Weltweit sind in den Museen sogar etwa zweihundert Millionen Makrofossilien katalogisiert, und es gibt buchstäblich Milliarden und Abermilliarden fossiler Mikroorganismen von weniger als einem Millimeter. Trotz dieses riesigen Zeugnisses sucht man vergeblich nach zweifelsfreien Serien von Bindegliedern. Das sind die Tatsachen, Dr. Cadwell. Es wird schon seine Gründe haben, wenn ein international bekannter, eifernder Evolutionist wie Stephen Jay Gould › die Tatsache, dass Übergangsformen im Fossilbericht extrem selten sind ‹ , als › Berufsgeheimnis der Paläontologen ‹ bezeichnet hat. Warum wohl?«
»Ich vermute, Sie können es mir sagen«, erwiderte Cadwell kühl.
»Weil die fehlenden Übergangsserien bei gut überlieferten Formen ein gewaltiger Schlamassel für den Darwinismus sind. Charles Darwin hatte nämlich vorausgesagt, dass der Prozess des Aussterbens langsamer vonstatten gehen müsse als das Muster evolutionärer Artentstehung. Demnach müssten Überschneidungen existieren, die sich auch im Fossilbericht niederschlagen. Aber da ist nichts.«
Alex bemerkte in Cadwells Augen ein missmutiges Funkeln, als sei es unter seiner Würde, Perlen vor Säue zu werfen. Schließlich ließ er sich aber doch zu einer Erwiderung herab.
»Es gibt neuere Hypothesen. Falls Sie sich nicht zu schade sind, auch Fachbücher zu lesen, die Ihrem Weltbild widersprechen, dann kennen Sie möglicherweise das Werk von Gould und Niles Eldredge über das unterbrochene Gleichgewicht. Die Forscher schlugen ein Modell vor, wonach sich die Evolution nicht gleichmäßig in kleinen Schritten vollzieht, sondern in kurzen Phasen schneller Veränderung mit längeren Zeiträumen von Stasis, also weitgehender Stabilität.«
Alex verdrehte die Augen. »Ich bin mit dem Punktualismus der beiden vertraut, Dr. Cadwell. Gould und Eldredge gingen sogar noch weiter: Sie schlugen vor, die Veränderungen könnten sich in einer kleinen Population in einem Randgebiet sehr rasch vollzogen haben. Dadurch seien sie der Fossilierung entwischt.« Alex konnte sich ein mitleidiges Lächeln nicht verkneifen. »Eine weitere verzweifelte Ad-hoc-Theorie, die sich auch noch unangreifbar macht, indem sie die Missing Links
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