Die Galerie der Lügen
Gehirns ‹ hineinversetzen, nicht wahr? Also gut, versuchen wir’ s.« Er nippte an der Tasse, verbrühte sich die Zunge und fragte: »Wird durch die Galerie nicht vor allem eine Frage aufgeworfen: › Ist es ein fataler Irrglaube, die moderne Technik als Mittel zu sehen, um die Evolution des Menschen zu vervollkommnen? ‹ «
Sehr gut, Partner!, dachte Alex und schwieg.
Er schmunzelte. »Aus deinen violetten Augen spricht ein Ja zu mir. Also gut, bleiben wir auf dieser Straße. Evolution funktioniert, so hast du mir oft genug erklärt, im Kleinen, nicht aber im Großen, sie ist für die erstaunlichen Variationen des Lebens zuständig wie etwa die Hunderassen, aber sie erschafft keine Flossen, Flügel, keine biologischen › Mausefallen ‹ wie bei der Fleisch fressenden Kannenpflanze, kurz: Sie bringt keine neuen Baupläne hervor.«
Alex nickte. »Du bist ein gelehriger Schüler, Darwin.«
»Danke. Die Schlussfolgerung müsste also lauten: Eine Methode zu perfektionieren, die nur ein philosophisches Hirngespinst ist, käme in etwa dem Bau von Luftschlössern gleich.«
»Oder dem des Turmes von Babel.«
Er verzog das Gesicht. »Musst du mich immer an meine Niederlagen erinnern! Na, wie dem auch sei. Wir reden hier nicht einfach nur über neue Verfahren, sondern viel wichtiger ist wohl die Frage, wie deren Einsatz unsere Gesellschaft verändern wird. Sollen wir wirklich die Büchse der Pandora öffnen? Nicht wenige Zeitgenossen fürchten, die › Krone der Evolution ‹ sei nicht zu bekommen, ohne unsere ethischen und moralischen Werte aufzugeben. Wäre ein solcher Preis nicht zu hoch?«
»Du hast dazugelernt«, flutschte es aus Alex heraus.
»Diese Art von Vollkommenheit darf es nicht geben«, murmelte Darwin. Er zog die Ledertasche, die auf dem Barhocker neben ihm lag, auf seinen Schoß und holte den Computerausdruck mit den von Alex markierten Kunstwerken hervor. Nachdem er die Teller zur Seite geschoben hatte, legte er die Liste zwischen sie auf den Tresen.
»Welches bei ArtCare versicherte Objekt könnte in der Vorstellung eines psychopathischen Kreationisten oder was immer dieser Theo sein mag die von Menschenhand geschaffene Pseudov ollkommenheit repräsentieren?«
Alex spürte den Schmerz, als sie ihre Unterlippe blutig biss. »Ich glaube, du bist auf dem richtigen Weg«, ermutigte sie ihn leise. Sie kannte die Liste. Obwohl sie längst ahnte, welches Kunstwerk sich Theo für sein grand finale ausgesucht hatte, durfte sie Darwin nicht vorgreifen. Ja, nun wollte sie sogar seine Schlussfolgerungen hören.
Er blätterte die Seiten durch, kontrollierte die markierten Einträge. »Die blaue Schleife – wofür steht das Traumsymbol?«
Sie zögerte. Durfte sie ihm diese Hilfe geben? Warum nicht? Er konnte die Antwort ebenso gut im Internet nachlesen. »Es bedeutet in etwa: Dich erwartet eine ehrenvolle Auszeichnung. Oder auch: Jemand macht einem etwas vor. Zwar mag er dir wohl gesonnen vorkommen, aber der Schein trügt…«
»Und?«, fragte Darwin, wohl weil Alex’ Stimme wieder einmal in der Nachdenklichkeit versickert war.
Der Schein trügt. Immer stärker wurde ihr Empfinden, dass etwas an ihrer Galerie der Lügen nicht stimmte.
»Alex, wo bist du gerade?«
Sie blinzelte benommen. »Äh… Hier. Ich habe nur nachgedacht.«
Sein Gesicht verriet, wie viel er von ihrer Herumdruckserei hielt. »Na schön, der Sieger darf sich über die Schleife als Auszeichnung freuen. Wahrscheinlich bekommt sie Theo, der sich über unsere Begriffsstutzigkeit ins Fäustchen lacht. Das Blau des Wassers ist in der Traumdeutung weiblich belegt, richtig?«
Sie nickte. »Es ist die Farbe der seelischen Gelöstheit und geistigen Überlegenheit. Der Wahrheit…«
»Klingt viel versprechend. Vielleicht lässt uns das › Gehirn ‹ ja am Schluss an seiner Sicht der Wahrheit teilhaben.«
Alex bemerkte einen zynischen Unterton in Darwins Stimme. »Blau ist auch die Farbe der Weite, Ferne und Unendlichkeit. Sie symbolisiert außerdem Ruhe, Ideale, religiöse und andere Gefühle«, fügte sie hinzu.
Darwin kämmte mit seinen Fingern durch die Haare. »So kommen wir nicht weiter. Die › Galerie der Lügen ‹ ist, wenn man so will, eine Inszenierung. Wie ein Theaterstück. Ich habe mir sagen lassen, da soll es mitunter einen dramaturgischen Bogen geben…«
»Ja?«, hauchte Alex. Sogleich marterte sie wieder ihre Unterlippe.
Er sah sie mit gefurchter Stirn an. »Einen dramaturgischen Bogen«, murmelte er langsam. »Das
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