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Die Galerie der Lügen

Titel: Die Galerie der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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nicht wirklich kontrollieren. Dachte ich’s mir doch.«
    Alex hätte gerne etwas darauf erwidert, aber Theos Drohung war wie ein Gift, das ihre Zunge lahmte.
    Darwin kratzte sich am Hinterkopf. »Da fällt mir gerade etwas ein, das ich dich fragen wollte. Was ist eine Chimäre?«
    Sie starrte ihn erschrocken an.
    Er grinste. »Habe ich dich endlich mal auf dem linken Fuß erwischt? «
    »Der Begriff ist vielfältig belegt«, antwortete sie ausweichend. »Kennst du Eugene Emmanuel Viollet-le-Duc?«
    »Nein.«
    »Er hat im neunzehnten Jahrhundert die Chimären-Galerie auf den Türmen von Notre-Dame de Paris erschaffen: steinerne Wächter über den Wasserspeiern.«
    »Wächter?« Es sah so aus, als sinne Darwin einen Moment darüber nach, ob auch die Rolle eines Hüters symbolisch gedeutet werden konnte. Aber dann schien er den Gedanken zu verwerfen und sagte stattdessen: »Ich dachte eher an die Naturwissenschaften. Da hat die Chimäre doch auch eine Bedeutung, oder?«
    »Ja.«
    »Nämlich?«
    Alex zögerte. »Man bezeichnet so Lebewesen, die auf nicht natürlichem Wege entstanden sind und Merkmale zweier Arten miteinander vereinen.«
    »Wie kommt so etwas?«
    »Wenn Gene verschiedener Spezies sich in einem Organismus zusammenfinden.«
    »Zum Beispiel ein Bioluminiszenz-Gen von Tiefseequallen?«
    Alex glaubte, ihr Herz würde stehen bleiben. Sie war zu keiner Antwort fähig.
    »Entschuldige. Das war geschmacklos.«
    Sie ertappte sich dabei, wie sie nervös an ihren Haaren herumzupfte. Sherlock Holmes ist auch nicht immer sensibel gewesen.
    »Kann es sein«, grübelte er, »dass es dem › Gehirn ‹ gar nicht in erster Linie um die Demontage einer pseudowissenschaftlichen Theorie geht?«
    »Wie meinst du das?«, fragte Alex zögernd.
    »Du sagtest eben, es wolle mir eine Botschaft senden. Seinem Jäger, Darwin Matthew Shaw. Ich phantasiere jetzt einfach mal und behaupte, Theo sei das › Gehirn ‹ und außerdem der Sohn von Julian Kendish, welcher besser als jeder andere wusste, wie man die Sicherheitstechnik in den Museen umgehen kann. Derselbe Theo hat dich durch einen Kassiber zu deiner › Galerie der Lügen ‹ … sagen wir, angestiftet. Wenn man nun also den Medienrummel, den die Anschlagserie dank deiner brillanten Artikel verursacht hat, in Betracht zieht, dann wendet sich Theo an ein wesentlich größeres Publikum.«
    »An jeden, der Zeitung liest oder fernsieht.«
    Darwin nickte. »Wenn Theo glaubt, das Aufbegehren der Menschen nur durch den Verlust einmaliger Kunstschätze heraufbeschwören zu können, wovor will er uns dann warnen? Was wäre einen solch hohen Preis wert?«
    »Sag du es mir«, antwortete Alex ausweichend. Ihr fiel es schwer, auch nur einen Finger zu rühren.
    »Die Meisterin will wissen, was ihr Schüler gelernt hat, nicht wahr?« Darwin lächelte. »Gestern bei der NCS hast du etwas gesagt. Es hörte sich fast wie ein… Orakel an. Es war ein Zitat aus der Genesis. Alles, was Gott machte, sei sehr gut gewesen, sagtest du. Und dann hast du es wiederholt: › Es war vollkommen. ‹ I st das ein versteckter Hinweis gewesen, Alex? Etwas, das du mir nicht sagen darfst, obwohl du es mich unbedingt wissen lassen wolltest?«
    Sie zwang sich dazu, einen Schluck Saft aus ihrem Glas zu nehmen.
    Anscheinend hatte Darwin verstanden, wie das Spiel funktionierte, denn er nickte abermals. »Na schön, bleiben wir einmal dabei. Nach Magrittes Unachtsamem Schläfer fehlt uns noch ein Kunstwerk, um die Galerie der Lügen zu komplettieren. Du kennst die Liste der jetzt noch siebenundsiebzig Kandidaten. Welcher wäre für das große Finale der Geeignetste?«
    Alex hoffte, die Pause hinter Darwins Frage wäre nur rhetorischer Art, aber offenbar erwartete er diesmal eine Antwort. »Ich kann es dir nicht sagen«, erwiderte sie leise.
    »Du darfst es mir nicht sagen.«
    Sie heftete ihren Blick auf die Bläschen im Orangensaft, während ihre Finger emsig mit dem Verwirbeln des eigenen Nackenhaars beschäftigt waren.
    »Ich vermute mal«, fuhr er daher fort, »Theo – oder wer immer das › Gehirn ‹ ist – will sich mit einem großen Knall in die › Ruhe des siebten Tages ‹ verabschieden. Der Verlust welchen Kunstwerkes aus deiner Liste würde die Menschheit mehr als jeder andere schmerzen?« Diesmal ließ er Alex nicht so lange in ihrem Schweigen zappeln, wofür sie ihm sehr dankbar war. Er schenkte sich aus einer Glaskanne Kaffee nach und lächelte.
    »Schon klar. Ich muss mich in die Gedankenwelt des ›

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