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Die Galerie der Lügen

Titel: Die Galerie der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Überlegungen. Alex hielt sich die ganze Zeit über zurück, aber ihr entging keinesfalls der zunehmend mürrischer werdende Ausdruck in Cadwells Gesicht.
    Als sein Chefermittler zu Ende gekommen war, schüttelte Cadwell in betroffener Nachdenklichkeit lange den Kopf. »Mein Gott! Der David von Michelangelo. Das ist doch grotesk! Wenn dieser Irre tatsächlich ausführt, was Sie da andeuten, dann würde ein Aufschrei durch die Welt gehen. Die Statue gilt als der Höhepunkt der Bildhauerei. Manche behaupten sogar, sie sei die Krönung der Kunst schlechthin. Wenn Sie tatsächlich Recht hätten… Mich erinnert das Ganze fatal an den Anschlag auf Michelangelos Pietà .«
    Darwin runzelte die Stirn. »Sie reden von der Madonna in der Peterskirche, oder? Ich kann mich nicht genau erinnern…«
    Ein leidender Ausdruck bemächtigte sich Cadwells Gesicht. Der Ästhet schüttelte bedauernd den Kopf. »Da waren Sie noch nicht einmal auf der Welt, mein Junge. Aber ich vermochte mich damals schon dem Zauber Michelangelos nicht zu entziehen. Der Frevel gegen seine Stein gewordene Ode auf die Schönheit hat sich mir unvergesslich ins Gehirn gebrannt. Es war am 21. Mai 1972. Lazio Toth, ein australischer Geologe ungarischer Herkunft, ist im Petersdom mit einem schweren Hammer über die Absperrung geklettert und hat wie ein Irrer mit fünfzehn Hieben auf Maria eingeschlagen.«
    Alex bemerkte, wie die verschiedener f arbigen Augen des Managers einen Punkt am Ende des Universums zu fixieren schienen, während er mit schwingender Stimme rezitierte:
     
    »… Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen, und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.«
     
    Darwin tauschte über den Tisch hinweg einen verwirrten Blick mit seiner »Partnerin«. Er schien nicht zu wissen, was er von der jähen Vergeistigung seines Chefs halten sollte.
    »Rilke, nicht wahr?«, fragte Alex lächelnd.
    Cadwell wirkte überrascht. »Sie kennen das Gedicht?«
    »Aus den Duineser Elegien, wenn ich mich recht entsinne.«
    »Sie überraschen mich.«
    Seine Bemerkung war für Alex wie ein Stich. Hält er dich für blöd? »Ach, warum?«, erwiderte sie kühl.
    »Nun ja«, antwortete Cadwell zögernd. »Ich hatte Sie mir, offen gestanden, ziemlich weltfremd vorgestellt.«
    »Wie kommen Sie nur darauf?«, fragte sie, obwohl sie die Antwort schon vorausahnte.
    »Was die Times über Sie geschrieben hat – Sie glauben ja nicht mal an die Evolution.«
    »Das stimmt nicht«, konterte Alex wie aus der Pistole geschossen. Ohne es zu ahnen, hatte er ihr soeben den Fehdehandschuh hingeworfen. Darwin machte auf der anderen Seite des Tisches ein Gesicht, als ahne er bereits, was sich da anbahnte. Er schüttelte unmerklich den Kopf.
    Cadwell zog die Augenbrauen hoch. »Jetzt überraschen Sie mich schon wieder, Ms Daniels. Ich dachte…«
    »Sie haben sich vermutlich nie mit meinen Argumenten auseinander gesetzt, korrekt?«
    »Ich muss auch nicht nachprüfen, ob die Erde ein Würfel ist, selbst wenn jemand es im Brustton der Überzeugung behauptete. Jedes Kind weiß heute, sie ist eine Kugel.«
    »Bei allem Respekt, aber da irren Sie.«
    »Ha! Ist sie etwa doch eine Scheibe?« Zustimmung heischend sah Cadwell seinen Chefermittler an, aber dessen Miene war nichts zu entnehmen.
    »Nein«, antwortete Alex. Sie kam sich vor wie ein altkluges Kind und konnte nichts dagegen tun. »Die Erde ist ein Sphäroid, der an den Polen leicht abgeflacht ist. Grob gesprochen ist er eine Birne, wie wir seit fast einem halben Jahrhundert wissen. Im Übrigen hinkt Ihr Vergleich, Dr. Cadwell. Wir verfügen über Messmethoden, mit denen wir zweifelsfrei die Gestalt unseres Planeten nachweisen können. Aber bis heute gibt es kein einziges Experiment, das stichhaltig die Entstehung neuer Baupläne des Lebens aufzeigt.«
    »Das ist schlechthin kaum möglich, meine Liebe. Die Evolution hat Milliarden von Jahren gebraucht, um das Leben, wie wir es kennen, zu erschaffen.«
    »Wenn dem so wäre, dann müssten wir irgendwo bei gut überlieferten Tiergruppen Serien von missing links finden, Übergangsformen zwischen den Grundtypen. Aber der Fossilbericht schweigt sich diskret darüber aus, selbst bei Gattungen, die zu hundert Prozent bis in unsere Zeit erhalten geblieben sind. Wenn die Versteinerungen sich mit unserem heutigen Bild decken – wo bleibt da noch der Raum für Zwischenglieder?«
    »Aber die gibt

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