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Die Galerie der Lügen

Titel: Die Galerie der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Museumseinbrüchen.«
    In ihren Augen spiegelte sich verhohlene Qual. »Habe ich das?«
    Er nickte gewichtig. »Sind Theo und das › Gehirn ‹ ein und dieselbe Person, Alex?«
    Wie er schon fast erwartet hatte, wich sie seinem forschenden Blick aus. »Ist das so entscheidend?«
    »Ich finde, ja. Hat Theo gedroht, dir etwas anzutun, wenn du mich über seine Pläne aufklärst?«
    Alex schloss die Augen. Dennoch sickerten Tränen heraus. Er konnte sehen, wie sie mit sich rang. Schließlich holte sie tief Luft und sagte mit bebender Stimme: »Schlimmer.«
    »Was kann schlimmer sein?«
    »Er hat gesagt, dass er dir etwas antun wird?«
    »Mir?« Darwin war sprachlos, weniger aufgrund der Morddrohung gegen als vielmehr wegen ihrer Sorge um ihn. Er grinste. »Ich dache, du kannst mich nicht besonders leiden.«
    »Das stimmt nicht«, erwiderte Alex leise. »Ich finde nur einige deiner Ansichten reichlich beschränkt.«
     
     
    Der Oktober wurde nicht von ungefähr in den südlicheren Gefilden als »goldener« Monat bezeichnet. In entsprechenden Lagen legte die Flora noch einmal ihre Frühlingsgewänder an. Und so war es auch, als Darwins Maschine am Donnerstag in Florenz landete. Die Sonne hing wie ein gelber Feuerball am stahlblauen Himmel. Bei Temperaturen um die zwanzig Grad fiel es nicht leicht, an die dunklen Seiten des Lebens zu denken. Aber leider war er nicht zum Vergnügen in die toskanische Hauptstadt gereist.
    Kurz nach ein Uhr mittags verließ er das Ankunftsgebäude am Amerigo-Vespucci-Flughafen und stieg in ein Taxi. Nach Darwins Empfinden jagte der Wagen in Außerachtlassung sämtlicher Verkehrsvorschriften zur Innenstadt. Vermutlich verdiente sich der Chauffeur gelegentlich bei der Mafia ein Zubrot als Fluchtfahrer.
    Auf der Viale Allessandro Guidoni, einem geraden Straßenstück, auf dem sich die Kunststücke des Wagenlenkers nur auf überraschende Spurwechsel beschränkten, glitten Darwins Gedanken wieder zu Alex ab. Weniger ihr Gesundheitszustand beschäftigte ihn – ihre Genesung machte gute Fortschritte, und Lucy leistete ihr in jeder freien Minute Gesellschaft –, sondern die immer greifbarer werdenden Ahnungen im Hinblick auf ihre Vergangenheit machten ihm Sorgen.
    Als sie ihm vor zwei Tagen beim Frühstück die Präimplantationsdiagnostik erklärt und er sie gefragt hatte, was eine Chimäre sei, war ihre Reaktion irgendwie merkwürdig gewesen. War Alex eine Chimäre? Sie hatte diese merkwürdigen Gaben, das Leuchten der Haut und ihren »Brieftaubensinn«. Darwin mochte schon längst nicht mehr daran glauben, dass sie und ihre genetisch beinahe identischen Geschwister auf natürlichem Wege gezeugt worden waren. Immer mehr wurde der Verdacht zu einer drückenden Gewissheit, dass mehr hinter ihren physiologischen Besonderheiten steckte.
    Da war die mysteriöse Angelgesellschaft, in der Martin Cadwell alias Thorgrim Gunnarsson offenbar eine zentrale Rolle gespielt hatte. Er war Biologe, und Alex sagte, er sei ihr genetischer Vater – Samenspender wäre vermutlich das passendere Wort gewesen. Im Nachhinein konnte Darwin schwer verstehen, warum ihm die Ähnlichkeit der beiden nicht schon viel früher aufgefallen war. Vermutlich wegen des Altersunterschieds; er hatte das Gesicht des jungen Cadwell ja nie gesehen. War es denkbar, dass dieser selbsternannte Ästhet in seiner Vollkommenheitsmanie an den Genen der Embryos herummanipuliert hatte, um sie zu »verbessern«…?
    Ein plötzlicher Schlag riss ihn aus der Versenkung. Der Mann am Steuer sprudelte lachend ein paar italienische Sätze hervor, deren Inhalt sich Darwin nur ansatzweise erschloss. Offenbar hatte der Mafiafahrer einen Bordstein mitgenommen.
    Erstaunlicherweise erreichten sie wenig später aber doch ohne Behelligung durch Polizei oder Karambolagen ihr Ziel in der Altstadt von Florenz. Mit dem Vorderrad auf dem Gehweg kam das Taxi in einer spektakulären Rutschpartie zum Stehen.
    Via Ricasoli 58-60, 50122 Firenze. So lautete die offizielle Anschrift von Signor David. Michelangelos Gigant war das, was Hausbesitzer gemeinhin unter der Bezeichnung »Dauermieter« zu schätzen wussten. Der Umzug in die Galerie der florentinischen Kunstakademie lag schon über einhundertdreißig Jahre zurück. Damals war es dem nackten Koloss vor dem Palazzo Vecchio zu zugig geworden. Im Erdgeschoss der Akademie hatte man ihm ein hübsches Zimmer eingerichtet, nein, eigentlich war die Tribuna del David schon eher eine Kapelle für den in Stein verewigten Genius

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