Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Galerie der Lügen

Titel: Die Galerie der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
von Il Divino, »dem Göttlichen«.
    Nachdem der Engländer den italienischen Lenker des Fluchtfahrzeugs ausbezahlt und das Taxi röhrend wieder auf die unzulässige Höchstgeschwindigkeit beschleunigt hatte, verharrte Darwin einige Sekunden lang andächtig vor dem hohen Portal. Die karamellfarbenen Holztüren standen offen. Dahinter herrschte jenes kühle Halbdunkel, das man hier in den heißen Sommern so zu schätzen wusste. Auf dem gläsernen Schott im Rundbogen des Eingangs stand in goldenen Lettern der Name der ehrwürdigen Institution.
     
    GALLERIA DELL ’ ACCADEMIA
     
    Hier sollte es sich also entscheiden. Er schöpfte tief Atem. Dann trat er ins Zwielicht ein.
    Über ein schwarz-weißes Rautenmuster aus Stein schritt er zum Ticketschalter und meldete sich bei einer mondgesichtigen Kartenverkäuferin an. Sie bedeutete ihm zu warten. Während er der Dinge harrte, die da kommen sollten, strömten ununterbrochen Besucher an ihm vorbei.
    Nach kurzer Zeit erschien auf der Treppe zu seiner Linken eine schlanke Blondine, die nicht unbedingt seinem Klischee von einer italienischen Gelehrten entsprach. Sie mochte etwa achtunddreißig sein, war mittelgroß, trug eine hellblaue Bluse über dem schmal geschnittenen grauen Rock und lächelte mit ihren rot geschminkten Lippen eher wie ein Mannequin als wie eine Kunsthistorikerin mit Doktortitel. Während sie auf Darwin zukam, nahm er sich vor, bei nächster Gelegenheit am Abbau seiner Voreingenommenheiten zu arbeiten.
    »Mr Shaw?«, fragte sie mit rauchiger Stimme. Ihre blauen Augen strahlten ihn offen an.
    »Der bin ich. Dann müssen Sie Dr. Franca Marinelli sein, die Direktorin der Galleria dell ’Accademia.«
    Sie warf mit der Rechten ihren Pferdeschwanz über die Schulter und reichte ihm die Hand. Nachdem der förmliche Teil der Begrüßung erledigt war, sagte sie: »Während meines Jahres an der Slade School of Fine Art habe ich gelernt, dass schwierige Aufgaben leichter zu lösen sind, wenn man das ganze Brimborium an Titeln weglässt und sich auf die Vornamen beschränkt. Wenn Sie also nichts dagegen haben: Ich bin Franca.«
    Er musste unweigerlich schmunzeln. »Ich fühle mich gleich wie zu Hause. Auch wegen Ihres ausgezeichneten Englisch. Nennen Sie mich…«
    »… Darwin«, unterbrach sie ihn. »Ich weiß. Sie sind ja inzwischen bekannt wie ein bunter Hund.«
    »Soll ich das als Kompliment auffassen?«
    Sie beugte sich konspirativ zu ihm vor. In ihrem Ausschnitt blitzte ein kleines goldenes Kreuz. »Meine Sympathie haben Sie. Wissen Sie, Darwin, ich konnte mich nie mit dem Gedanken anfreunden, meine Vorfahren seien als Affen auf Bäumen herumgeturnt.«
    Seine Brauen hoben sich. »Sie überraschen mich.«
    »Ich verfolge nur regelmäßig die englischsprachige Presse. Was da über Sie und Ihre Beraterin geschrieben wurde, erscheint mir nicht fair.«
    »Es tut gut, auch mal eine andere Meinung zu hören.«
    »Wie wollen wir vorgehen, Darwin?«
    »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich mir gerne als Erstes einen Eindruck vom Objekt der Begierde machen.«
    »Gerne. Leider kann ich Ihnen keine Separee-Führung anbieten. Wir haben von acht Uhr fünfzehn bis achtzehn Uhr fünfzig geöffnet, und Sie sehen ja: Das Haus ist gut besucht.«
    »Kein Problem. Wir können später in die Details gehen, wenn wir mit der Polizei den Einsatzplan abstimmen. Zunächst will ich nur ein Gefühl für die Räumlichkeiten und für unser Baby bekommen.«
    Sie lachte. »Den David meinen Sie? Er ist ein ziemlich großes › Baby ‹ . Vom Scheitel bis zur Sohle misst er exakt fünf Meter siebzehn.«
    »Oh! Ich hatte andere Zahlen im Kopf.«
    »Ja, weil die meisten Fachbuchautoren voneinander abschreiben, die Fehler inbegriffen. Wir hatten im Januar 1999 ein Team von der Stanford University hier. Sie haben die Statue dreidimensional eingescannt und mittels Lasertechnik neu vermessen. Dabei kam heraus, dass sie deutlich größer ist, als man bis dahin annahm. Aber lassen Sie uns nicht lange theoretisieren. Kommen Sie, ich zeige Ihnen das › Objekt ‹ dieses – wie nennen Sie den Serientäter noch gleich?«
    »Das › Gehirn ‹ .«
    »Klingt irgendwie nach James Bond jagt Dr. No.«
    »Manchmal kommt es mir auch so vor.«
    Franca deutete zu einer Tür gegenüber dem Haupteingang. Sobald sie diese durchschritten hatten, senkte sie ihre Stimme, als befänden sie sich in einer Kathedrale, obwohl der angrenzende Raum eher einem langen hohen Korridor glich. Links sah Darwin zwei Fenster. An

Weitere Kostenlose Bücher