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Die Galerie der Lügen

Titel: Die Galerie der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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aus.
    Plötzlich bemerkte er am Rande des Gesichtskreises einen Schemen. Unwillkürlich fuhr er zusammen.
    Dr. Atkey schüttelte schmunzelnd den Kopf. »Grimmig dreinblickende Polizisten vor der Tür und ein schreckhafter Beschützer am Bett – was hat dieser arme Mensch angestellt, dass er ein solches Aufgebot an Leibwächtern braucht?«
    »Das ist eine lange Geschichte, Doktor«, antwortete Darwin ausweichend.
    Der Arzt nickte. »Schon verstanden. Ich habe Sie gestern mit meiner Schweigepflicht abgefertigt, und jetzt kommt die Retourkutsche.« Sein Blick wanderte zu den beiden ineinander verschlungenen Händen auf dem Laken.
    Darwin zog verlegen seine Rechte zurück. Aus irgendeinem dummen Grund fühlte er sich ertappt.
    Atkey lächelte. »Warum versuchen Sie eigentlich ständig, Ihre Zuneigung zu Ms Daniels zu verstecken?«
    »Ich?«
    »Ja, Sie. Mir ist schon gestern aufgefallen, wie besorgt Sie sind. Wäre es anders, hätte ich mich Ihnen nicht anvertraut.«
    »Nun ja«, druckste Darwin, »es ist nicht so, wie Sie vielleicht denken…«
    Atkey legte ihm die Hand auf die Schulter. »Mein lieber Freund, Alex kann jede Liebe gebrauchen, die Sie ihr zu geben vermögen.«
    Darwins Blick wanderte zum Antlitz der Schlafenden, das so friedlich wirkte und so wenig von dem erkennen ließ, was seine Emotionen durcheinander brachte. Dann sah er wieder den Arzt an. »Ist es normal, wenn man einem Menschen wie Alex begegnet und sich plötzlich seiner eigenen Empfindungen nicht mehr sicher ist?«
    »Absolut. Die innere Zerrissenheit des Hermaphroditen färbt unweigerlich auch auf jene ab, die Gefühle in sie investieren. Darin sind sich Freundschaft und Partnerschaft sehr ähnlich: Man kriegt sie nicht umsonst.«
    Darwin nickte.
    Atkey klopfte ihm auf die Schulter. »Ich habe auch nicht über Nacht meinen seelischen Schwerpunkt gefunden. So was braucht Zeit. Selbst heute gerate ich manchmal aus der Ruhelage und kämpfe mit Zweifeln und Deprimiertheit.«
    »Sind Sie auch…?« Darwins Blick schwenkte zu der Schlafenden.
    Der Arzt schüttelte den Kopf. »Meine Diagnose lautet 11 -beta-Hydroxysteroid-Dehydrogenase-Mangel.«
    »Um Himmels willen! Was ist denn das?«
    »Mein Körper produziert nicht genug von einem Enzym, das für die Umwandlung von Androstendion in Testosteron zuständig ist.«
    »Testosteron? Das ist doch ein männliches Geschlechtshormon, oder?«
    »Richtig. Wobei auch in den Eierstöcken jeder normalen Frau geringe Mengen davon hergestellt werden. Na, jedenfalls war meine männliche Entwicklung gestört. Bis zur Pubertät wirkte ich wie ein Mädchen, dann kam die Überraschung: der Stimmbruch, männliche Körperbehaarung – ich will Ihnen die Details ersparen.«
    »Sie sprechen so offen darüber. Alex…« Darwin schüttelte den Kopf.
    »… hat da noch weit größere Schwierigkeiten?«, half Atkey ihm aus.
    »Gegenüber meiner Schwester hat sie sich geöffnet. Aber bei mir…«
    »Kann es sein, dass Sie Alex Ihre Unsicherheit ihr gegenüber haben spüren lassen?«
    Darwin musste an den Abend denken, an dem er sie beim Pinkeln überrascht hatte. Er verzog das Gesicht. »Wird wohl so sein.«
    »Intersexuelle Menschen brauchen jemanden, der ihnen zuhört, ohne jedes ihrer Worte mit Kommentaren zu versehen. Sie brauchen Einfühlungsvermögen. Dazu ist beim Gesprächspartner Unvoreingenommenheit nötig. Geben Sie Alex das Gefühl, sie sei so richtig, wie sie ist.«
    Darwin war nicht entgangen, dass der Arzt zum Schluss vom Allgemeinen zum Besonderen übergegangen war. Er nickte abermals.
    »Danke für Ihre Hilfe, Dr. Atkey.«
    »Sagen Sie Lindsey zu mir.«
    Dieser Mensch brachte es immer wieder fertig, Darwin zu überraschen. »Ich bin Darwin«, sagte er.
    Lindsey grinste. »Das ist mir nicht entgangen. Interessiert Sie eigentlich, was Alex fehlt?«
    »Was ist mit Ihrer ärztlichen Schweigepflicht?«
    »Die ist natürlich unerschütterlich. Aber es gibt einen Ermessensspielraum, und bei guten Freunden kann man den schon mal ausnutzen.«
    Die nächste Überraschung. Darwin holte tief Luft. »Wie lautet Ihre Diagnose?«
    »Commotio cerebri mit einer retrograden Amnesie.«
    Darwin erschrak abermals. Das klang beängstigend. Irgendwie hörte es sich nach hochgradigem Vergessen an.
    Glücklicherweise schien Lindsey seine Gedanken zu erraten, denn schnell schob er eine Übersetzung in die Patientensprache nach: »Mit anderen Worten, sie hat eine Gehirnerschütterung. Deshalb kann sie sich nicht mehr an die Zeit vor der

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