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Die Galerie der Lügen

Titel: Die Galerie der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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stieß sie hervor, brachte die Frage aber nicht mehr heraus, weil sie von ihm mitgerissen wurde.
    »Lauf!«, schrie er.
    Und so liefen sie.
    Darwin hielt auf eine runde Säule zu, als wolle er dahinter Deckung suchen.
    Ihre Schritte knallten auf dem Beton. Das Echo wurde vielfach von den nackten Wänden zurückgeworfen. Als sie schon neben dem Pfeiler angelangt waren, explodierte hinter ihnen der Griffith.
    Das donnernde Geräusch war ohrenbetäubend, stärker noch als das der Gasverpuffung, die das Stallhaus in ein Flammenmeer verwandelt hatte. Wie eine Riesenfaust fegte die Druckwelle Alex von den Beinen. Ihr Bewusstsein registrierte mit penibler Gründlichkeit, was nur ein oder zwei Sekunden dauerte.
    In grotesker Langsamkeit schien sie über den Beton zu schweben. Sie sah sogar neben sich Darwins Arme, welche sie wohl wie schon einmal zu erreichen und in Schutz zu nehmen suchten. Aber diesmal flog sie schneller. Der Boden kam ihr entgegen, und dann explodierte wieder etwas. Es war der Schmerz in ihrem Kopf.
    Danach versank sie in Dunkelheit.

 
    Kapitel 18
     
     
     
    »Nichts ist schwerer und erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und zu sagen: Nein!«
    Kurt Tucholsky
     
     
     
    LONDON (ENGLAND),
    Dienstag, 16. Oktober, 14.48 Uhr
     
    Das Brüllen der Flammen war das Erste, was Darwin vernahm. Danach spürte er die Hitze. Er musste für kurze Zeit die Besinnung verloren haben. Stöhnend stemmte er sich auf seine Unterarme hoch. Überall lagen glosende Trümmer. Wo war Alex?
    Er blickte hinter sich, aber da sah er nur den brennenden Griffith oder vielmehr das, was von ihm noch übrig war – das »Geschoss« war nun selbst abgeschossen worden. Darwin wandte sich zur anderen Seite. Und dann entdeckte er sie.
    Alex lag mindestens zwei Yards weiter von der Explosionsstelle weg. Sie bewegte sich nicht.
    Ungeachtet des dumpfen Schmerzes, der an seinen Gliedern zerrte, kroch Darwin zu ihr. Sie lag auf dem Rücken, die Augen halb geöffnet, und wirkte wie tot. Sein Herz verwandelte sich in einen Knoten. Die ganze Brust tat ihm weh. Nicht auch noch das!, schrien seine Gedanken. Hatte dieser gepeinigte Mensch nicht schon genug durchgemacht? Sollten alle Versuche, ihm zu helfen und ihm Mut zu machen, vergeblich gewesen sein?
    Darwin legte seinen rechten Arm um ihre Schulter und strich ihr sacht über das Gesicht. »He, Partner, wach auf!«, sagte er sanft.
    Alex rührte sich nicht.
    Er wischte sich über die Stirn und stellte verwundert fest, dass sein Handrücken feucht war. »Alex!«, rief er verzweifelt. »Tu mir das nicht an. Wir zwei sind ein Team. Du darfst mich jetzt nicht einfach allein lassen. Ich kann doch nicht…« Er verstummte.
    Ihre Wimpern hatten geflimmert.
    »Alex«, wiederholte er leise, aber eindringlich ihren Namen, »komm zu dir. Es wird Zeit zu gehen.«
    Sie öffnete ihre Augen, ihre wunderbaren violetten Augen, und sah ihn fragend an.
    Jetzt spürte Darwin seine Tränen, und es machte ihm nicht das Geringste aus. Er lachte. »Willkommen in der Welt der Lebenden.«
    »W-was… ist passiert?«, fragte sie leise.
    »Ich nehme mal an, Theo gefiel die Farbe meines Wagens nicht. Da hat er ihn in die Luft gesprengt«, antwortete Darwin, und dann lachte er weiter.
    Als die Brandschutzhelfer und andere Mitarbeiter der Versicherung in die Tiefgarage stürmten, lachte er immer noch. Einige waren der Ansicht, er habe den Verstand verloren.
     
     
    Der überwältigenden Freude darüber, dass sein »Partner« lebte, waren bange Momente gefolgt. Darwin hatte sich der Visitenkarte erinnert, die er immer noch in seiner Jackentasche trug. Weil er ahnte, was auf Alex zukommen würde, wählte er mit dem Handy eines Kollegen sofort die Nummer von Dr. Lindsey Atkey, dem intersexuellen Arzt, der sie tags zuvor schon einmal zusammengeflickt hatte. Atkey arbeitete im St. Bartholomew’s Hospital in Smithfield, also nur wenige Krankenwagenminuten von ArtCare entfernt. Seine Worte waren für den überreizten Anrufer äußerst beruhigend.
    »Machen Sie sich keine Sorgen, Mr Shaw. Wir sind hier auf solche Patienten eingerichtet. Sagen Sie dem Fahrer, er soll ins Bart’s fahren. Um alles Weitere kümmere ich mich.«
    Etwa zwei Stunden später saß Darwin an Alex’ Krankenbett und hielt ihre Hand. Sie wusste nichts davon, denn sie schlief. Ihm fehlte nichts, abgesehen von ein paar neuen Kratzern. Die Notaufnahme hatte ihn im Nu verarztet. Bei Alex sah es diesmal weniger gut

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