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Die Galerie der Lügen

Titel: Die Galerie der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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den Wänden waren beiderseits Bänke mit hohen Lehnen und kurzen Sitzflächen befestigt. Gemälde konnte er keine entdecken, lediglich fünf oder sechs hohe, grob behauene Steinblöcke.
    »Ich nehme an«, nahm Darwin den Faden wieder auf, »Sie haben wie alle Museen, die das › Gehirn ‹ mit seinen Besuchen beehrt hat, montags geschlossen?«
    »So ist es.« Sie blieb unvermittelt stehen, und ihre Miene wurde ernst. »Glauben Sie, dieser Irre will hier genauso wie im Louvre eine Bombe hochgehen lassen?«
    »Wir müssen die Möglichkeit leider in Betracht ziehen.«
    »Dio mio! Das wäre eine Katastrophe. Wir hatten in Florenz schon mal einen Sprengstoffanschlag auf eine Skulpturengruppe. Es war im › Saal der Niobe ‹ , in den Uffizien, gleich hier in der Nachbarschaft. Ich kann mich noch genau erinnern: 1993 war das, in meinem ersten Jahr als Doktorandin. Ich befand mich gerade im Vasarischen Korridor, der die Uffizien mit dem Palazzo Pitti verbindet, als es rums! machte. Neunzig Kunstwerke wurden beschädigt, drei davon irreparabel. Die Leute haben geweint und Geld gesammelt, um den Schaden wieder gutzumachen. So einen schwarzen Tag für die Kunst möchte ich kein zweites Mal erleben.«
    »Wir werden unser Bestes tun, um das zu verhindern, Franca.«
    »Wussten Sie übrigens, dass unser David auch schon einmal attackiert wurde? Ein Verrückter hat auf seinen Fuß eingeschlagen. Höher reichte der Kerl nicht.«
    Darwin ließ seinen Blick zum anderen Ende des Korridors schweifen, wo der Gigant stand. Aus der Entfernung sah er gar nicht so groß aus. Die Sonne schien durch die Fenster in der Kuppel über der Statue und tauchte sie in ein fast überirdisches Licht. Der Detektiv schüttelte den Kopf. »Das muss vor meiner Zeit bei ArtCare gewesen sein.«
    »Vermutlich. Zumindest war es vor meiner Zeit. Sie kennen die Geschichte des Hauses?«
    »Nicht wirklich.«
    »Es ist ein sehr altes Gebäude. Ursprünglich war hier das Ospedale di San Matteo untergebracht, ein Hospital. Im Laufe der Zeit hat man es dann bis zur heutigen Größe ausgebaut. Die Florentiner Kunstakademie wurde 1562 von Cosimo I. gegründet. Aber erst 1784 verordnete Großherzog Pietro Leopoldo die Zusammenlegung sämtlicher Zeichenschulen von Florenz in e in er zentralen Akademie. Um den Studenten Anschauungsmaterial zu geben, wurde eine Galerie angeschlossen.«
    »Die Galleria dell’Accademia.«
    »Richtig.« Franca setzte sich wieder in Bewegung und deutete zu je zwei aufrecht vor den Wänden stehenden Marmorblöcken, aus denen sich windende Figuren halb herausragten, als versuchten sie vergeblich, sich aus dem Stein zu befreien. »Dies ist die Galleria dei Prigioni.«
    »Prigioni?«
    »Das Wort bedeutet › Gefangene ‹ . Die Skulpturen stammen ebenfalls von Michelangelo.«
    »Es sieht aus, als wären sie unvollendet.«
    »Das sind sie auch. Einige Kunsthistoriker vertreten aber die Ansicht, der Künstler habe mit ihnen ein Sinnbild schaffen wollen für die Bindung der menschlichen Existenz an die Materie, aus der es kein Entrinnen gibt. Die Statuen waren ursprünglich für das Grab von Papst Julius II. in Rom bestimmt.«
    »Und die fünfte Figur da rechts neben der Tür?« Er deutete zu dem Sockel.
    »Das ist San Matteo.«
    »Der heilige Matthäus?«
    Sie nickte. »Die unvollendete Plastik wird ebenfalls dem Meister zugeschrieben. Bei der nächsten, der Pietà di Palestrina, die dort rechts zwischen den Wandpfeilern steht, ist man sich weniger sicher.«
    Darwin umrundete eine japanische Besuchergruppe, die ergriffen einen der › Gefangenen ‹ umlagerte. Er beachtete kaum die Statue von Maria, ihrem toten Sohn und einer weiteren Person, denn nun schweifte sein Blick wie magisch angezogen unter den bogenförmigen Jochen der Decke entlang zum David, der mit jedem Schritt größer wurde. Die Figur stand in einer hoh en, halbrunden Nische mit kuppel förmigem Abschluss, wie man sie häufig in Kirchenbauten sah.
    »Das ist ein Mannsbild, was?«, sagte Franca mit anzüglichem Lächeln.
    Darwin verzog den Mundwinkel. »Ich stehe mehr auf weibliche Formen.«
    »Einigen wir uns darauf, dass er in der Renaissance das Idealbild des Menschen verkörperte.«
    »Sie sind die Expertin. Ich habe den Eindruck, mancher Zeitgenosse sieht ihn auch heute noch als Inbegriff der Vollkommenheit. «
    »Wohl wahr!«
    »In unserem Versicherungssteckbrief heißt es, der Gigant stehe schon seit 1873 hier.«
    »Das ist richtig. Bis dahin hat er bald vierhundert Jahre lang

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