Die Galerie der Lügen
warnen. Mein Adoptivvater war ein emsiger Sammler. Er vertraute sein Wissen Tagebüchern an, und von jedem wichtigen Dokument, das er zwischen die Finger bekam, archivierte er Kopien. Außerdem fiel es mir leicht, ihm Einzelheiten über seine Arbeit zu entlocken. In seiner Engstirnigkeit deutete er meine Abkapselung gegenüber der Außenwelt als Verschwiegenheit und lebte an mir seinen Hang zum Prahlen aus. Auf diese Weise bin ich an die Sicherheitsvorkehrungen von ArtCare gekommen, doch leider nur an zwei meiner Geschwister, in Frankreich und Schweden. Ich habe versucht, die anderen aus der Reserve zu locken, aber vergebens – bis auf Alex Daniels. Ob die übrigen noch leben, habe ich nie erfahren.«
Er seufzte. »Wenn die Abgeordneten des Unterhauses in einer Woche über die Gesetzesvorlage abstimmen, werden sie jetzt wohl einiges mehr zu bedenken haben.« Und mit einem wehmütigen Blick auf die beiderseits von ihm zwischen den Glassäulen hängenden Gemälde fügte er leise hinzu: »Ich glaube, damit ist alles gesagt. Sie können nun gehen.«
Lord Witcombe und McCauley wechselten einen irritierten Blick. »Wollen Sie nicht Ihre Sprengstoffjacke ablegen?«, fragte der Lordkanzler.
Der Gefragte schüttelte den Kopf. »Das wäre nicht klug. Ich muss ja noch die kleinen Monster aus der Welt schaffen.«
»Aber die Gemälde…!«
»Was bedeuten schon ein paar Kunstwerke angesichts der größten Verschwörung der Wissenschaftsgeschichte?«, unterbrach Theo den alten Mann.
»Wovon, um Himmels willen, reden Sie?«
»Von der ungeheuerlichsten Irreführung, die es je gegeben hat, Mylord. Ich spreche von der Unmenge naturwissenschaftlicher Sendungen im Fernsehen oder Artikel in Zeitschriften, in denen die Evolution beschworen wird. Selbst wo das Thema sich gar nicht dafür eignet, kommt man immer wieder auf sie zurück. So etwas nennt man Gehirnwäsche, Mylord.«
»Das ist ein Standpunkt, über den man reden kann, Mr Kendish. Mit Gewalt gegen Kulturschätze…«
»Wäre es anders«, redete Theo weiter, als habe er die Worte gar nicht gehört, »würden die vielen tausend Forscher weltweit damit beginnen, die Beweise unvoreingenommen zu interpretieren, die uns als Geschöpfe eines erhabenen Geistes ausweisen. Stattdessen leugnen sie ihn und wollen der Evolution auf die Sprünge helfen.« Er schüttelte traurig den Kopf. »Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass mit der › Galerie der Lügen ‹ auch die große Täuschung selbst in Feuer und Rauch aufgehen wird.«
»Tu jetzt nichts Unbedachtes, mein Sohn!«, sagte Cadwell beschwörend. »Lord Witcombe hat Recht. Nicht wenige Menschen würden lieber die Wahrheit opfern als ihre größten Meisterwerke. Indem du diese Gemälde zerstörst, erreichst du genau das Gegenteil.«
Theo sah ihn nachdenklich an.
Cadwell wagte zwei Schritte auf den verminten Bilderdieb zu. »Du hast eben gesagt, wie sehr es dich berührt hat, als dir endlich jemand zuhörte. Das hat mich bewegt, Theo. Ob du es glaubst oder nicht, aber ich fühle mich als dein Vater.«
Alex hatte kein gutes Gefühl bei dem, was sie da hörte. Sie fragte sich, ob Cadwell gerade eine Möglichkeit witterte, sich mildernde Umstände zu erschleichen.
»Ist es nicht merkwürdig, wenn ein Vater seine eigenen Kinder tötet?«, fragte Theo. Er machte keine Anstalten, die Annäherung Cadwells aufhalten zu wollen.
»Manchmal treibt einen die Verzweiflung zu verzweifelten Taten.«
»Warum hast du versucht, Alex umzubringen, Vater? Wenn einer von uns vollkommen gewesen ist, dann sie.« Theo schien plötzlich den Tränen nahe.
Cadwell blieb stumm. Er machte einen weiteren Schritt auf Theo zu, aber dieser schien es gar nicht zu bemerken.
»Alex ist so, wie ich hätte sein sollen. Wieso sollte sie sterben?«
Nun stand Cadwell seinem Sohn direkt gegenüber. »Komm mit mir heraus«, bat er sanft und doch drängend, »und wir reden darüber, unter vier Augen.«
»Nein. Ich will, dass du es hier und jetzt sagst«, entgegnete Theo trotzig. Seine Hand ruckte am Knebel.
Ein kollektives Stöhnen ging durch den Raum.
»Halt!«, sagte Cadwell schnell. »Ich will dir erklären, was Alex Daniels zu etwas so Besonderem macht«, begann er, schwieg aber dann.
»Ich kann dich nicht verstehen«, knurrte Theo. Er klang wie ein in die Enge getriebener Wolf.
»Alex war der erste Klon.«
Cadwells gemurmelte Erklärung ging nur deshalb nicht unter, weil man im Raum eine herabfallende Stecknadel hätte hören können.
Theo
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