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Die Galerie der Lügen

Titel: Die Galerie der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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durch Zufall in der pathologischen Abteilung in einem Abfallbehälter einen Fötus mit zwei Köpfen. Aus einem Impuls heraus nahm er das missgebildete Kind mit und konservierte es in Formaldehyd. Bald kamen weitere hinzu, einige waren das Ergebnis von Abtreibungen, andere von Fehlgeburten. An Nachschub mangelte es nicht, denn die Embryos wurden aus aller Herren Länder nach Schottland gesandt. Es gab so viele kleine Leichen im Keller des Labors, dass man gar nicht alle auseinander schneiden und untersuchen konnte.
    Aus dem »Abfall« baute Julian seine »Freakshow« zusammen, berichtete Theo. Anfangs habe sein Adoptivvater tatsächlich vorgehabt, sich damit den Ruhestand zu vergolden. Im Laufe der Jahre, die er im MacKane-Konzern tätig war, stellte sich bei ihm jedoch ein Sinneswandel ein. Zum einen war das öffentliche Klima gegenüber genetischen Experimenten eher ablehnender als wohlwollender geworden, und andererseits veränderte sich Julians Einstellung zum Leben, nachdem er an Blutkrebs erkrankt und dem Tod nur durch eine aggressive Chemotherapie entronnen war. Ihm wurde immer bewusster, welches Leid die Experimente verursacht hatten. Auf seine Art liebte er sein Adoptivkind. Julian gehörte zu jenen Menschen, die etwas einmal Gewonnenes nicht wieder hergeben mochten. Auch von der Sammlung seiner »kleinen Monster« im Keller seines Reihenhauses wollte er sich nicht trennen. »Das ist meine Rückversicherung«, sagte er, »falls sie mir an den Kragen wollen.«
    Für ihn, Theo, sei die Freakshow dagegen eine ständige Provokation gewesen, ein »Dorn im Fleisch«, eine psychische Folter, die ihn nie zur Ruhe kommen ließ.
    »Denn ich wurde als perfekter Hermaphrodit geboren«, sagte Theo. Seine Stimme klang nicht zornig, eher schwermütig.
    Wieder ging ein Raunen durch die versammelte Menge.
    »Ja«, fügte Theo mit gewichtigem Nicken hinzu. »Auf der Waage zwischen männlich und weiblich saß ich genau in der Mitte. Dr. Cadwell, dem ich einen Großteil meiner Gene verdanke, hielt das wohl für ein amüsantes Experiment – kein Geschlechterkrieg mehr, der neue vollkommene Mensch. Trotzdem unternahm er nichts, als meine Adoptiveltern mir diese Einzigartigkeit wegschnitten. Erst war ich ein Mädchen, später versuchte ich mir, meine Männlichkeit zurückzuerobern. Unterwegs habe ich irgendwann meine Selbstachtung verloren. Ich kam mir vor, als sei ich eines der kleinen Monster in den Formaldehydgläsern, nur mit dem Unterschied, dass ich dem Mutterschoß entflohen war. Aber mein Adoptivvater wollte nichts von meinen Zweifeln und Ängsten wissen. Mein Anderssein war für ihn ein Tabuthema, das ich nur meinem Tagebuch anvertrauen durfte und sonst niemandem. Julian glaubte bis zum Schluss, mit einem Skalpell und anhaltendem Schweigen ließen sich alle Probleme aus der Welt räumen. Er war eben ein Mann von schlichtem Gemüt.« Theo schüttelte bedauernd den Kopf. »Sei’s drum, er hat für seine Sünden gesühnt; die Leukämie kehrte zurück, verbündete sich mit dem Diabetes, und diesmal gewannen die Krankheiten die Schlacht. Leider hat er mir selbst im Tode nicht zuhören wollen.«
    Unvermittelt deutete er auf den ehemaligen Projektleiter des Klonprogramms. »Bis eines Tages er in mein Leben trat und mich zum Mord an meinen Geschwistern anstiftete.«
    Cadwell schnappte nach Luft. »Das ist eine Lüge!«
    »Nein«, beharrte Theo. »Ist es nicht. Du wolltest wieder in deine alte Rolle zurück, wolltest wieder Dr. Thorgrim Gunnarsson sein, der Schöpfer vollkommener Menschen, der Großsiegelbewahrer der Evolution. Das sich am Horizont abzeichnende neue Gesetz versprach dir endlich die Rückkehr auf die Bühne der Wissenschaft. Lediglich deine Vergangenheit stand zwischen dir und dem Ruhm. Ich sollte dir dabei helfen, sie auszutilgen.«
    »Glauben Sie ihm nicht. Er ist wahnsinnig«, rief Cadwell in Richtung der Kameras.
    Theo blieb gelassen. Er wandte sich ebenfalls den Pressevertretern zu und deutete zugleich auf seinen Vater. »Dieser Mann hat mich auf Terri Lovecraft angesetzt. Sie erinnern sich vielleicht noch an die junge Frau, die im Blackwall-Tunnel ums Leben kam. Ihr Bild ging damals durch alle Medien. Ich sollte sie für ihn töten. Stattdessen habe ich versucht, Terri ihr wahres Ich zu zeigen. Dann hat jemand anderer sie umgebracht und es wie Selbstmord aussehen lassen, vermutlich in Dr. Cadwells Auftrag. Hierauf bin ich untergetaucht und habe versucht, meine anderen Geschwister zu finden und vor ihm zu

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