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Die Galerie der Lügen

Titel: Die Galerie der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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klassische Art machen.«
    Darwin lächelte säuerlich. »Ich bin doc h nicht lebensmüde. Lassen Sie’ s gut sein, Jack.«
    »Schade. Hätte mich gern mal mit einem gemessen, der den Godan im Karate besitzt.«
    »Vielleicht ein andermal.«
    »Der Chef erwartet Sie bereits.«
    Cadwell, immer noch telefonierend, dirigierte Darwin mit der linken Hand in den Konferenzsektor des Büros. Seinem Schatten bedeutete er, den Raum zu verlassen.
    Jordan zögerte.
    »Keine Sorge, Jack. Ich lasse ihn am Leben«, frotzelte Darwin.
    Der Bodyguard verzog keine Miene. Was die Sicherheit seines Chefs anging, verstand er keinen Spaß. Stumm verließ er das Büro.
    Als die Tür sich hinter dem Hünen schloss, fühlte Darwin sich wohler. Er betrachtete Cadwells Leibwächter als wandelnde Zeitbombe.
    Wie er, so war auch Jordan militärisch vorbelastet. Als Angehöriger des 22nd SAS Regiment hatte er im Rahmen der Operation »Enduring Freedom« im Irak gekämpft. Darwin kannte die Männer des Special Air Service als extrem motiviert, in Spezialeinsätzen hochkonzentriert und zu fast übermenschlichen Leistungen fähig, das effektive Töten von Gegnern eingeschlossen. Damit ein Mensch solche Fähigkeiten erwerben konnte – das war Darwins feste Überzeugung –, musste in ihm ein natürlicher Schutzmechanismus ausgeschaltet werden. Deshalb betrachtete er die Mitglieder der Spezialeinheiten alle als psychisch Amputierte.
    Er ging zu dem lang gestreckten Tisch. Sein Blick fiel auf eine Reihe von Fotografien und Papieren, die fein säuberlich auf dem braunen Holz aufgereiht lagen. Es dauerte keine Sekunde, bis Darwin begriff, dass es die Unterlagen zum jüngsten Einbruch waren.
    Er drehte sich zu dem Schreibtisch um, hinter dem Cadwell stand und ihm mit Gesten zu verstehen gab, dass er sich schon mit dem Material vertraut machen solle.
    »Nicht auch noch ein Rubens!«, stöhnte Darwin leise, als er den Steckbrief las.
     
    Titel: »Das Urteil des Paris«
    Künstler: Peter Paul Rubens (1577-1640)
    Entstehung: um 1625
    Ausführung: Öl auf Eiche
    Größe: 52,72 x 68,70 Zoll (133,9 x 1 74 , 5 cm )
    Inventar-Nr: NG6379
    Versicherungswert: 50 Mio. Pfund
    Im Besitz des Versicherungsnehmers seit: 1966
     
    BESCHREIBUNG:
    Paris, mit dem Rücken zum Betrachter sitzend, übergibt den Preis für die schönste von drei Göttinnen, einen goldenen Apfel, an Venus (Aphrodite). Links von ihr steht Juno (Hera), rechts, nur von hinten zu sehen, Minerva (Athene). Cupido (Eros) umfasst Venus’ rechten Oberschenkel. Sie wird von einem Putto gekrönt; ein zweiter hält zwei Tauben. Paris befindet sich in Begleitung von Merkur (Hermes) – links von ihm. Im Hintergrund verfolgen zwei Satyrn den Schönheitswettbewerb. Am rechten Bildrand sitzen ein Wassergott und eine Nymphe auf dem Boden.
     
    Darwin sah von den Dokumenten auf, als er hörte, wie sich Cadwell von seinem Gesprächspartner verabschiedete. Sein Chef kam zum Konferenztisch herüber. Er bewegte sich mit einer bedächtigen Sorgfalt, wie man sie von einem erfahrenen Bergführer erwarten würde: nicht hastig, aber keinesfalls wie ein alter Mann, der seine abgenutzten Gelenke schonen musste. Martin Cadwell war stolz darauf, jeden Tag im eigenen Pool drei Meilen zu schwimmen und beim Golf schon manch jüngeren Geschäftspartner besiegt zu haben.
    Obwohl sein Äußeres an einen alternden Bonvivant denken ließ, hörte man nie irgendwelche Affären über ihn. Sein dichtes graues Haar trug er länger, als man es von Topmanagern seriöser Branchen gewöhnlich erwartete. Es war rechts gescheitelt und musste häufig durch manuelle Eingriffe aus dem Blickfeld geräumt werden. Zum Markenzeichen des sechzigjährigen Witwers gehörten die Halstücher, meist in Weinrot gehalten. Sein auffallendstes Merkmal waren jedoch die Augen: das rechte strahlte blau wie ein Bergquell, das andere rot wie bei einem Albino.
    Cadwell wirkte ernst an diesem Morgen. Ohne sich lange mit Begrüßungsritualen aufzuhalten, deutete er mit dem Kinn auf die penibel aufgereihten Dokumente.
    »Was sagen Sie dazu?«
    Darwins Blick wanderte zu den Papieren. »Ich bin noch dabei, die Sache zu verdauen.«
    »Mir geht’s genauso. Die drei schönsten Frauen des Universums – einfach gekidnappt.« Der Doktor, wie Reena Baker ihn zu nennen pflegte, schüttelte den Kopf, auf dem Gesicht ein Ausdruck tiefsten Bedauerns. Darwin kannte ihn als einen Ästheten, den wenig mehr begeistern konnte als vollendete Formen. Im Grunde waren die klaren Linien und

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