Die Galerie der Lügen
irgendjemand auch von einem anderen Unternehmen unserer Gruppe unrecht behandelt. MacKane Enterprises ist riesig, fast unangreifbar, aber ArtCare könnte ein wunderbares Opferlamm abgeben.«
»Haben Sie einen konkreten Verdacht?«
»Nein. Ich mache mir nur meine Gedanken. Wenn diese Kunstraube weitergehen, könnten wir in ernsthafte Schwierigkeiten geraten.«
»Ich denke, wir sind rückversichert.«
»Noch, mein Junge. Aber das kann sich leicht ändern. Wenn Sie zu Hause ständig kaputte Fensterscheiben an Ihre Hausratversicherung melden, dann wird sie Ihnen irgendwann kündigen. Dasselbe Schicksal könnte uns ereilen. Wir haben uns den stolzen Marktanteil mit einer aggressiven Preispolitik erkauft. Zur Zeit ist unsere Finanzdecke dünn. Dünner als ein Rubens, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Darwin nickte.
»Ich möchte nicht, dass Sie im Pub oder sonst wo mit jemandem darüber sprechen. Ist das klar?«
»Selbstverständlich, Sir.«
»Und dasselbe gilt für alles, was Sie aus der Vergangenheit dieser Alex Daniels ausgraben. Sie sind ein hervorragender Ermittler, Darwin, aber im Umgang mit den Medien bin ich der Profi.«
»Kann mir nur recht sein, Sir.«
Cadwell legte seine Hand auf Darwins Schulter. »Mitarbeiter wie Sie sind das Rückgrat unseres Unternehmens. Betrachten Sie mein Vertrauen in Sie als Ihr Kapital. Wenn Sie es richtig einsetzen, bleibt der Profit für Sie nicht aus. Aber sollten Sie leichtfertig damit umgehen, dann werden Sie am Ende alles verlieren.«
Wirklich eine herzerfrischende Art, seine Mitarbeiter zu motivieren, dachte Darwin, während er, beladen mit den Dokumenten des neuesten Falles, in sein Büro hinabfuhr. Dann werden Sie am Ende alles verlieren. Cadwells Worte wollten ihm nicht aus dem Sinn gehen. Der Spieß aus der Rekrutenzeit war feinfühliger gewesen als sein jetziger Boss. Nun, auf den Schultern des ArtCare-Chefs lastete allerdings auch eine größere Verantwortung.
Im fünften Stock verließ Darwin den Aufzug. Es war kurz vor sieben. Im Flur herrschte Stille. Keine schnatternden Sekretärinnen. Sein Team glänzte durch Abwesenheit. Er betrat das Arbeitszimmer am Ende des Ganges und schaltete den Computer an, um in den Datenbanken von ArtCare eine kurze Recherche zu dem gestohlenen Gemälde zu starten. Die Äußerungen der Wissenschaftsjournalistin, die auf ein bestimmtes Denkschema der Täter angespielt hatte, ließen ihm keine Ruhe. Wenn es einen roten Faden gab, der sich durch die einzelnen Aktionen zog, dann musste dieser in der Auswahl der betroffenen Kunstwerke zu erkennen sein. Mit den Zeigefingern tippte er den Titel des Bildes in das entsprechende Suchfeld ein, drückte die Bestätigungstaste, kaum zwei Sekunden später erlebte er eine Überraschung.
Peter Paul Rubens hatte Das Urteil des Paris nicht weniger als dreimal gemalt.
Zumindest waren so viele Gemälde bei ArtCare versichert. Außerdem gab es noch einen Vertrag zu einem gleichnamigen Bild von Hendrick van Baien d. Ä. in der Berliner Gemäldegalerie. Darwin fragte sich, was wohl den Ausschlag gegeben hatte, ausgerechnet das jüngste der drei Ölgemälde von Rubens zu stehlen. Der Name des Künstlers konnte eindeutig nicht der Grund sein, ja, nicht einmal die Bedingungen am Tatort, denn – diese Entdeckung verwunderte Darwin am meisten – die National Gallery am Trafalgar Square besaß gleich zwei der betreffenden Werke des flämischen Malers.
Darwin lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück und starrte auf den Monitor. Warum ausgerechnet dieses Bild? Bedächtig ließ er den Mauszeiger zum Knopf mit der Aufschrift »Drucken« wandern und klickte ihn an.
Während sein Tintenstrahler die Vertragsdaten und Abbildungen zu den aufgelisteten Gemälden ausgab, rief er das E-Mail-Programm auf. Bevor er in die National Gallery fuhr, wollte er einen Blick in seinen elektronischen Briefkasten werfen.
Die E-Mail von Mortimer stach ihm sofort ins Auge. Im Betreff stand: »Beim Louvre-Täter sichergestellte Gegenstände«. Darwin klickte die Nachricht an. Sie enthielt eine von der französischen Polizei zusammengestellte Auflistung der Dinge, die man bei der Leiche des Unbekannten in Paris gefunden hatte. Bereits an zweiter Stelle der insgesamt ungefähr zehn Positionen entdeckte Darwin, wonach er gesucht hatte:
Handspie gel mit Stiel, Holzfassung,
21,3 cm x 9,5 cm (zerbrochen)
Als Darwin die Underground an der Charing Cross Station verließ, kreisten seine Gedanken immer noch um die Frage, wie
Weitere Kostenlose Bücher