Die Galerie der Lügen
kommen wir her? «
»Den Kreationisten, meinen Sie.«
»Ja. Und den Evolutionisten, Theisten, Neodarwinisten, ID-Wissenschaftlern, Naturalisten und wie sie alle heißen.«
»Schön und gut, aber woher haben Sie das mit dem Spiegel gewusst?«
»Rene Magritte hat ihn seinem unachtsamen Schläfer unters Kopfkissen gelegt.«
Der Detektiv fischte eine weitere braune Schokopastille aus der Glasschale und ließ sie im Mund verschwinden. »Zusammen mit fünf anderen Symbolen. In Holloway fragten Sie aber nur nach dem Spiegel.«
»Weil er ein Achtung-Schild ist.«
»Wie meinen Sie das?«
Abermals wandte sich Daniels dem Fragenden zu. »Der Spiegel ist schon immer – ob im Märchen oder in der Traumdeutung – etwas ganz Besonderes gewesen. Wer sich in ihm sieht, rückt gewissermaßen aus sich heraus. Er wird eine vom Körper getrennte Repräsentation seiner selbst. Die Ägypter glaubten, ein Spiegel im Traum versinnbildliche den Übergang der Seele vom Körper in das nicht fassbare Gegenüber. Deshalb schrieben sie solchen Traumerlebnissen Tod oder Unheil zu.«
»Für mich klingt das alles ziemlich verworren. Wäre es für das › Gehirn ‹ nicht einfacher, uns geschriebene Botschaften zu senden?«
»Einfacher vielleicht, aber wie heißt es doch so schön? › Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. ‹ Die Medien leben von Bildern. Terroristen suchen den Medienrummel, und wenn man sich öffentlich über ihre Aktionen den Kopf zerbricht, dann flippen sie vor Begeisterung aus.«
»Dank Ihnen ist das ja jetzt der Fall.«
»Sie können die Symbole gerne ohne mich deuten.«
»Nun seien Sie nicht gleich gekränkt. Ich gebe mir ja Mühe, Ihren Gedankengängen zu folgen. Übrigens scheint der Profiler, mit dem ich über die Einbrüche sprach, auf dieses ganze psychoanalytische Traumzeugs nichts zu geben.«
»Muss ein kluger Mann sein.«
»Ich denke, Sie…«
»Ich persönlich halte auch nicht viel von Traumdeutung, wenngleich ich durchaus glaube, dass sich unsere Alltagserfahrungen zumindest teilweise auf gleichnishafte Weise in unseren Träumen widerspiegeln. Fakt ist, dass Magritte sich der Symbolik Sigmund Freuds bediente. Ich habe das im Internet recherchiert.«
»Wieso kennen Sie sich mit der Traumdeutung aus, wenn Sie keine Freudianerin sind?«
Daniels’ Blick wanderte zum Fenster. Draußen lief jemand am Haus vorbei. Sie sah dem Passanten für einen langen Moment hinterher. Als sie sich wieder zu Darwin umdrehte, wirkte sie abwesend.
»Wo waren wir stehen geblieben?«, fragte sie, wie jemand, der gerade aus einem Traum erwacht.
»Bei Freud und seinen Symbolen.«
»Ach ja! Sigmund Freud war für mich während meines Studiums so eine Art Punchingball: Ich habe mein kritisches Denken an seinen Theorien trainiert. Dazu musste ich mich zwangsläufig mit ihnen auseinander setzen.«
»Ist er nicht der Oberguru aller Seelenklempner?«
»Die von Freud begründete Psychoanalyse ist alles andere als eine exakte Wissenschaft; manche bezeichnen sie sogar als Paradebeispiel für Pseudowissenschaft, weil sich im Prinzip jede Beobachtung auf freudsche Weise interpretieren lässt. Ob wir uns nun lieber mit Stoff- statt mit Papiertaschentüchern die Nase putzen oder Frösche für verzauberte Prinzen halten – bei Männern geht alles auf eine unerfüllte Mutterliebe und bei Frauen auf sexuellen Missbrauch durch die Väter zurück.«
»Ziemlich plakativ der Vergleich.«
»Was ich sagen will, ist im Grunde einfach: Wenn wir uns psychologischer Ansätze bedienen, dann begeben wir uns zwangsläufig auf das Gebiet der Spekulation, weil Traumsymbole fast immer verschiedene Deutungen zulassen. Genau das Gleiche trifft auf viele so genannte Beweise der Evolutionisten zu.«
»Lehnen Sie sich da nicht ein bisschen zu weit aus dem Fenster, Ms Daniels?«
»Keineswegs. Die Ähnlichkeit zwischen verschiedenen Individuen bedeutet nicht zwangsläufig eine Homologie – so nennen die Evolutionisten Gleichwertigkeiten im Bauplan verschiedener Lebewesen, die sie auf eine entwicklungsgeschichtliche Verwandtschaft zurückführen. Ähnlichkeiten dagegen, die nicht aus einer ununterbrochenen Linie der Höherentwicklung entstanden sein können, bezeichnet man als Analogie.«
»Und wie wird im Einzelfall zwischen den beiden unterschieden?«
»Die Evolutionstheoretiker vertreten da oft ganz konträre Standpunkte. Weil die Abstammung aus primitiven Vorstufen für sie eine unbestreitbare Tatsache ist, wird jedoch nicht selten der Wunsch zum
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