Die Galerie der Lügen
entnehmen.«
»Sie sagen es. Warum ist das noch nicht getan worden?«
»Bei Verkehrsunfällen erspart man sich üblicherweise so ein kostspieliges Verfahren, wenn die Personalien des Opfers auf andere Weise festgestellt werden können.«
»Und falls man sich geirrt hat? Die paar Pfund für einen DNA-Test können angesichts der Millionenverluste, über die wir hier reden, kaum noch eine Rolle spielen.«
»Ich weiß nicht, ob wir Lovecrafts Leiche auf einen bloßen Verdacht hin ausgraben lassen können, aber ich werde mit Superintendent Longfellow darüber reden.« Er atmete auf. »Solche Spuren zu verfolgen ist mir hundertmal lieber, als mich in Ihre pseudo-philosophischen Analysen zu vertiefen, die gerade überall verbreitet werden.«
Daniels schnappte nach Luft. Abrupt wandte sie sich von Darwin ab, lief zum größeren der beiden Fenster und starrte, die Arme um den Körper geschlungen, auf die regennasse Straße hinaus. Draußen war es inzwischen so dunkel, als hätte die Dämmerung bereits eingesetzt. Ohne sich umzudrehen, sagte die junge Frau: »Sie denken, ich habe eine spektakuläre, aber spekulative Pressemitteilung herausgegeben, um mich in der Öffentlichkeit wieder reinzuwaschen, nicht wahr?«
»Naja… Ist es nicht so?«
»Nein. Ich vermute tatsächlich, dass militante Kreationisten die Aktionen verübt haben?«
»Kreationisten…?«, entfuhr es Darwin überrascht. »Sie meinen die Schwachköpfe, die glauben, dass die Welt in sechs buchstäblichen Tagen erschaffen wurde?«
»Ja. Wobei ich die Bezeichnung › Fundamentalisten ‹ vorziehe.« Daniels drehte sich in der Taille, gerade weit genug, um den unterbrochenen Blickkontakt wiederherzustellen. »Nicht dass wir uns falsch verstehen, Mr Shaw. Auch wenn ich manch abenteuerliche Vorstellung der Kreationisten nicht teile, halte ich sie doch keinesfalls – wie es die Medien so gerne darstellen – für eine Bedrohung der wissenschaftlichen Welt. Man darf Motivation nicht mit wissenschaftlicher Argumentation verwechseln. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich die Siegermächte um die deutschen Raketenforscher, Atomwissenschaftler und Marineexperten gerissen, obwohl diese ihre Kenntnisse und Erkenntnisse unter einem nationalsozialistischen Willkürregime gewonnen hatten. Nehmen Sie nur Hitlers Raketenmann, Wernher von Braun, dessen SS-Mitgliedschaft die Amerikaner nicht daran hinderte, ihn zum › Vater des Mondflugs ‹ zu machen.«
»Ich halte auch nichts von solcher Doppelmoral. Aber hier geht es doch wohl um die Frage, ob man religiösen Ewiggestrigen „erlauben sollte, in den Naturwissenschaften den Ton anzugeben.«
»Jetzt verwechseln Sie Religiosität mit Rückständigkeit. Der weitaus größte Abschnitt der Wissenschaftsgeschichte wurde von Denkern und Forschern geschrieben, die, wie es Johannes Kepler ausdrückte, › Gottes Gedanken nachdenken ‹ wollten oder zumindest den Ursprung des Universums in einer übernatürlichen Wirklichkeit begründet sahen. Sie alle – Albert Einstein, Max Planck, Kelvin, Faraday, Galilei, Newton, Pasteur und viele, viele weitere große Namen –, sie alle schufen das Fundament der heutigen Naturwissenschaften. Angenommen, diese Männer würden in der Gegenwart wiedergeboren und unter einem Pseudonym ihre transzendenten Überlegungen verbreiten, dann hätten sie nichts zu lachen. Die naturalistischen Eiferer würden ihnen den Stempel › Kreationist ‹ aufdrücken, so wie sie es auch mit mir getan haben.«
»Nehmen Sie es mir nicht übel, aber vielleicht haben Sie sich dieses Etikett selbst zuzuschreiben.«
Daniels wandte sich ihm jetzt ganz zu und fragte kühl: »Wie meinen Sie das.«
»Wenn Sie so schreiben, wie Sie reden… Ich will nur sagen, dass ein bisschen weniger Eifer manchmal nicht schlecht wäre.«
Die junge Frau schaute wieder zum Fenster hinaus. »Mir ist es herzlich egal, ob Sie mir glauben oder nicht, Mr Shaw. Ich wollte Sie nur vor der Dummheit bewahren, eine ganze Gruppe von Menschen zu diskreditieren, weil sie ein paar verquerte Ansichten vertreten oder aus ihren Reihen einige Terroristen kommen.«
»Wieso glauben Sie, die Museumseinbrüche gehen auf das Konto von Kreationisten? Sie könnten sich doch ebenso aus den Reihen der Vertreter des – wie nennen Sie das? – › intelligent Design ‹ rekrutieren.«
»Die Gruppe der ID -Wissenschaftler ist weltanschaulich viel heterogener als die der Kreationisten. Etliche sind nicht besonders gläubig oder halten die Bibel für einen
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