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Die Galerie der Nachtigallen

Die Galerie der Nachtigallen

Titel: Die Galerie der Nachtigallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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tut
mir leid. Kommt, gesellt Euch zu uns.«
    Man setzte sich. Ein
Diener brachte ein Tablett mit Bechern, bis zum Rand gefüllt
mit weißem Rheinwein, und einen Teller mit süßem
Backwerk. Cranstons saure Miene verflog sogleich, und voller
Genugtuung warf er Athelstan einen sardonischen Blick zu,
während er zierlich an seinem Becher nippte.
    »Alsdann«,
sagte Sir John und schmatzte. »Ein dritter Todesfall. Master
Vechey hat Selbstmord begangen.« Er hob drei Finger.
»Ein Mord und zwei Selbstmorde im selben Haushalt.« Er
starrte in die Runde. »Ihr trauert nicht?«
    Sir Richard stellte
seinen Weinbecher auf das Tischchen neben sich. »Sir John,
Ihr macht Euch über uns lustig. Wir trauern um meinen Bruder.
Er wird morgen beerdigt. Wir trauern um Brampton, dessen Leichnam
in Tücher gehüllt und nach St. Mary Le Bow gebracht
wurde. Aber unsere Trauer ist keine bodenlose Grube, und Master
Vechey war ein Kollege, kein Freund.«
    »Ein finsterer
Mann«, bemerkte Buckingham, »mit
überschäumendem Ehrgeiz, aber ohne das dazugehörige
Talent.« Er lächelte schmallippig. »Zumindest
nicht auf dem Kampfplatz der Liebe.«
    »Was wollt Ihr
damit sagen?« fragte Cranston.
    »Vechey war
Witwer. Sein Weib starb schon vor Jahren. Wenn er getrunken hatte,
sah er sich als Frauenheld, als einen Troubadour aus der
Provence.«
    Buckingham verzog das
Gesicht. »Aber Ihr habt ihn selbst gesehen. Er war klein,
fett und häßlich. Die Damen machten sich über ihn
lustig und lachten hinter vorgehaltener Hand.«
    »Was der
Schreiber sagen will«, unterbrach Sir Richard, »ist
dies: Master Vechey war verstrickt in die Freuden des Fleisches. Er
hatte wenige Freunde. Nur mein Bruder hat wirklich auf ihn
gehört. Es kann gut sein, daß Sir Thomas’ Tod
Vechey auf den Pfad der Selbstvernichtung gebracht hat.« Er
spreizte die Hände. »Ich behaupte nicht, der Hüter
meines Bruders zu sein; wie kann ich also beanspruchen, der
Hüter Vecheys zu sein? Wir bedauern seinen Tod, aber wie
könnten wir dafür verantwortlich sein?«
    »Wann hat Master
Vechey das Haus verlassen?«
    »Etwa eine
Stunde nach Euch.«
    »Hat er gesagt,
wohin er wollte?« »Nein. Das hat er nie
getan.«
    Cranston lehnte sich
zurück, legte den Kopf in den Nacken und ließ den
rheinischen Weißwein über seine Zunge rollen.
»Dann will ich eine andere Frage stellen. Wo wart Ihr gestern
abend, Ihr alle?«
    Sir Richard hob die
Schultern und sah sich um. »Ein jeder ging seiner
Wege.«
    »Pater
Crispin?«
    Der Priester
hüstelte und verlagerte sein Bein in eine bequemere Stellung.
»Ich ging zum Vikar von St. Mary Le Bow, um Sir Thomas’
Beerdigung zu verabreden.«
    »Sir Richard?
Lady Isabella?«
    »Wir waren
hier!« versetzte die Frau. »Eine trauernde Witwe
wandert nicht auf der Straße umher.«
    »Master
Buckingham?«
    »Ich ging zum
Rathaus und überbrachte eine Botschaft von Sir Richard wegen
des Prunkwagens, den wir zu bauen gedenken.«
    »Meinem Bruder
hätte das gefallen«, warf Sir Richard ein. »Er sah
keinen Grund, weshalb wir keinen Beitrag zur königlichen
Krönung leisten sollten.« Er hob die Stimme.
Ȇberhaupt, was soll das eigentlich? Macht Ihr uns
verantwortlich für Vecheys Tod? Wollt Ihr behaupten, wir
hätten ihn zum Fluß hinuntergeschleppt und dort
aufgehängt? Aus welchem Grund denn?«
    »Der Coroner
behauptet gar nichts«, korrigierte Athelstan sanft.
»Aber, Sir Richard, Ihr müßt doch zugeben,
daß es merkwürdig ist: so viele Todesfälle in einem
Haushalt?« »Sagt Euch das irgend etwas?« Cranston
zog das schmierige Pergament aus der Tasche und reichte es Sir
Richard, der es betrachtete.
    »Vecheys Name,
der meines Bruders und zwei Verse aus der Bibel. Ah!« Sir
Richard blickte auf und lächelte. »Zwei Verse, die mein Bruder immer
zitierte: Apokalypse 6, Vers 8, und Genesis 3, Vers
1.«
    »Ihr kennt die
Verse, Sir Richard?«
    »Ja.« Der
Kaufmann schloß die Augen. »Der zweite bezieht sich auf
die Schlange, die in den Garten Eden kommt.«
    »Und der
erste?«
    »Darauf,
daß der Tod ein fahles Pferd reitet.«
    »Warum pflegte
Euer Bruder die zu zitieren?« wollte Cranston
wissen.
    »Weiß ich
nicht. Er hatte Sinn für Humor.«
    »Bei der
Bibel?«
    »Nein, nein, bei
diesen zwei Versen. Er behauptete, die seien sein Schlüssel zu
Ruhm und Reichtum. Manchmal, wenn er arg berauscht war, zitierte er
sie.«
    »Wißt Ihr,
was er damit meinte?«
    »Nein. Mein
Bruder liebte Rätsel von Kindheit an. Er sagte einfach diese
Verse auf, lächelte und

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