Die Galerie der Nachtigallen
sich
feierlich auf seinen glockenförmigen Wanst. »Wie recht
du hast, Bruder.« Er seufzte. »Der Geist ist ja willig,
aber das Fleisch ist sehr, sehr schwach.«
In der Tat, die
Schwäche ist besonders groß, dachte Athelstan.
»Aber nicht jetzt«, sagte er hastig und laut, als er
Cranstons erwartungsvollen Blick sah. »Sir Richard Springall
erwartet uns. Wir müssen erst zu
ihm.«
Cranstons Mund wurde
störrisch und schmal.
»Sir John, wir
müssen erst zu ihm«, beharrte Athelstan. Cranston
nickte, schaute aber trotzig wie ein Kind, dem man
Süßigkeiten verweigert hat. Sie stellten ihre Pferde
über den lärmerfüllten Marktplatz. Eine
schwarzgewandete Gestalt mit weißer Teufelsmaske vor dem
Gesicht sprang zwischen den Ständen umher und schrie
Schmähungen gegen die Reichen und Habgierigen. Ein Büttel
in seinem gestreiften Mantel wollte ihn verhaften, aber der Teufel
entwischte ihm unter dem Gejohle der Menge. Cranston und Athelstan
beobachteten das Schauspiel; der Büttel jagte den Teufel, der
seine Haken schlug. Der kleine dicke Beamte war bald
schweißgebadet. Ein zweiter Teufel tauchte auf, genauso
gewandet wie der erste, und die Menge brach in brüllendes
Gelächter aus. Der Büttel war überlistet,
getäuscht von den beiden Masken und ihrem Spiel der
Illusionen.
»Genau wie das
Leben, nicht wahr, Sir John?« fragte Athelstan.
»Nichts, wie Heraklitus uns sagte, ist so, wie es scheint.
Oder, wie Plato schreibt: Wir leben in einer Welt der Träume,
und die Wirklichkeit ist unerreichbar für uns.« Cranston
warf einen letzten mitleidigen Blick auf den
Büttel.
»Ich
scheiße auf die Philosophie«, stellte er fest.
»Ich habe auf dem Grund eines Weinbechers mehr Wahrheit
gesehen und nach einem Krug gutem Sherry mehr gelernt, als ein
trockener Philosoph mich in seinem staubigen Kämmerlein lehren
könnte.«
»Sir John, Euer
philosophisches Verständnis hört nie auf, mich in
Erstaunen zu versetzen.«
»Nun, jetzt
werde ich Sir Richard Springall in Erstaunen versetzen«,
knirschte Cranston. »Ich habe ihm gestern nicht
verziehen.«
Derselbe alte Diener
führte sie in die Halle. Gleich darauf kam Sir Richard
herunter, dicht gefolgt von Lady Isabella und Buckingham. Der
letztere teilte ihnen mit, daß Pater Crispin und Allingham
anderswo beschäftigt seien.
»Sir John, geht
es Euch besser?« erkundigte sich Springall. »Sir, ich
war nicht krank. Im Gegenteil, gestern habe ich mich besser
gefühlt als jetzt.«
Sir Richard schaute
ihn an und weigerte sich, auf Cranstons rätselhafte Reden
einzugehen.
»Ihr habt von
Vecheys Tod gehört?« wollte der Coroner
wissen.
Sir Richard nickte.
»Ja«, sagte er leise, »wir haben davon
gehört. Aber kommt - laßt uns diese Dinge nicht hier
erörtern.«
Er führte sie in
einen kleinen, behaglicheren Raum hinter der großen Halle; in
einem Kamin brannte ein Feuer, und das Zimmer war gemütlich
und nicht so abweisend mit seinen getäfelten Wänden und
den Lehnstühlen, die im Halbkreis um das Feuer
standen.
»Selbst im
Hochsommer«, bemerkte Sir Richard, »ist es hier
kühl.«
Athelstan roch den
Duft der Kiefernscheite, die im Kamin brannten; darein mischten
sich Sandelholz, Harz und etwas noch Aromatischeres: das schwere
Parfüm der Lady isabella. Er sah sie scharf an. Sie hatte
inzwischen volle Trauerkleidung angelegt. Ein schwarzer Schleier
umrahmte das schöne weiße Gesicht, und ihre herrliche
Gestalt war vom Hals bis zu den Knöcheln in ein Gewand aus
schwarzer Seide gehüllt; das einzige Zugeständnis an die
Welt der Farben waren der weiße Spitzenbesatz an Manschetten
und Kragen und ein kleines juwelenbesetztes Kreuz, das an einer
goldenen Kette um ihren Hals hing. Buckingham wirkte bleicher und
ruhiger. Athelstan bemerkte, wie elegant er sich
bewegte.
Es klopfte an die
Tür.
»Herein!«
rief Sir Richard.
Pater Crispin trat
ein; der Schmerz des unbeholfenen Humpelns verzerrte sein schmales
Gesicht. Er bemerkte Athelstans Blick und lächelte
tapfer.
»Keine Sorge,
Bruder. Ich habe meinen Klumpfuß von Geburt an. Ihr habt
vielleicht schon bemerkt, daß ein Reitstiefel meine
Beschwerden lindert. Manchmal vergesse ich meine Lahmheit, aber sie
ist immer da. Wie ein bösartiger Feind, der stets darauf
wartet, mich zu verletzen«, fügte er verbittert
hinzu.
Lady Isabella ging auf
den jungen Priester zu und ergriff seine Hand. »Ich habe
davon gehört«, flüsterte sie. »Pater, es
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