Die Galerie der Nachtigallen
Cranston stürzte sich
in die trockene, dunkle Wärme. Er benutzte seinen nicht
unbeträchtlichen Wanst, um sich einen Weg zwischen Hausierern,
Kesselflickern, Arbeitern und Bauern zu bahnen, die frisch vom
Lande in die Stadt gekommen waren, um den Gewinn aus ihren
Erzeugnissen in große Kübel Ale zu
verwandeln.
Sir John
beschlagnahmte einen Tisch in der Ecke und begrüßte die
Wirtin wie eine lange verschollene Schwester. Die Dame sah aus wie
die weibliche Inkarnation des Teufels. Sie hatte eine ständig
tropfende Hakennase, Haut, so rauh wie Sackleinen, und trübe,
blutunterlaufene Augen. Sie mümmelte unablässig auf dem
Zahnfleisch herum, und ihre Finger waren schmutzig und fettig bis
zum Handgelenk. Ihr lincolngrüner Umhang bedeckte einen roten
Rock, dessen Saum ein paar Zoll über ihren talgverschmierten
Schuhen schwang. Bei ihrem Anblick betete Athelstan zu Gott um
Vergebung, denn er empfand nur Abscheu. Mit ihren breiten
Hüften, dem strähnigen grauen Haar und einem Gesicht, so
runzlig wie ein alter Lederstiefel, sah sie aus wie eine der
Hölle entstiegene Vettel. Athelstan starrte sie an und war
zutiefst verwirrt darüber, wie unterschiedlich Frauen waren -
wenn er diese Hexe etwa mit der schönen Lady Isabella verglich.
Grimmig stellte er fest, daß sein Zölibatsgelübde
doch gewisse, durchaus tröstliche Vorteile mit sich
brachte.
Cranston hingegen
benahm sich, als wäre sie eine alte Freundin, und
überhäufte sie mit Schmeicheleien. Sie zwinkerte boshaft
und bedeutete ihm, sie werde gern alle seine Wünsche
befriedigen.
»Genug davon, du
böses Weib!« rief Cranston scherzend. »Speise und
Ale zuerst, und später vielleicht noch andere
Genüsse.« Er kniff ein Auge zu.
»Später.«
Die Wirtin zog
gackernd ab, kam nach einer Weile zurück und tischte ihnen
große Krüge auf, aus denen das Ale schwappte,
außerdem eine Schüssel Fleisch, das mit Zwiebeln und
Lauch in einem Meer von Fett schwamm. Cranston stopfte sich den
Mund voll. Er leerte einen Bierkrug, und als der Bruder zustimmend
nickte, nahm er sich den zweiten vor.
»Du ißt
nichts, Bruder?«
Athelstan stocherte in
dem Essen herum. »Ich bin nicht hungrig. Ich frage mich, was
wir als nächstes tun sollen.« Cranston starrte mit
vollen Backen zu der verrußten Decke hinauf und sehnte sich
nach der Hammelkeule, die dort im Rauch hing.
»Es gibt nicht
viel zu tun«, brachte er hervor. »Wir haben einen
Verdacht, aber keinen Beweis. Oh, da stimmt etwas nicht, das wissen
wir alle. Zwei Selbstmorde, ein Mord ... aber nicht der geringste
Beweis, nicht einmal ein Hinweis. Wir sollten unseren Bericht
schreiben, dem Sheriff eine Abschrift schicken und dem Oberrichter
Fortescue sagen, daß jedes Geheimnis, das Springall
vielleicht hatte, mit ihm gestorben ist. Und dann sollten wir zu
unseren Alltagsgeschäften zurückkehren.«
»Da stimmt etwas
nicht«, wiederholte Athelstan. Er spähte durch die
Schänke zu einer Gruppe von Männern, die mit einem
Reliquienhändler ihren Schabernack trieben; der Mann
behauptete, er hätte Aarons Bart in seinem Sack und wollte ihn
für ein paar Münzen
verkaufen.
»Es ist, als
wolle man einen glitschigen Fisch packen, oder eine schmierige
Stange. Man glaubt, man hat sie, und dann entgleitet sie
wieder.«
Cranston steckte die
rote Kolbennase in seinen Bierkrug, nahm einen tiefen Schluck und
setzte den Krug krachend wieder auf den Tisch.
»Also gut,
Bruder - was stimmt nicht? Was glaubst du?« »Ich
glaube, es waren keine Selbstmorde. Ich glaube, alle drei wurden
ermordet, und ich glaube, der Mörder läuft noch frei
herum.«
»Und dein
Beweis?«
»Ich habe keinen
- nur ein unbehagliches Gefühl.«
»Verdammt
nochmal!« brüllte Cranston. »Was haben wir denn
hier? Ein Kaufmann, der gern in Rätseln spricht, wird von
seinem Verwalter ermordet, der sich danach aufhängt; ein
kleiner, dicker, mürrischer Kerl hält sich für einen
Hektor bei den Damen und, als er erfährt, daß er es
nicht ist, hängt er sich auf. Ein paar Rätsel auf einem
Stück Papier. Sehen wir doch der Wahrheit ins Gesicht: Diese
Leute da drüben«, er deutete in die Richtung des Hauses
Springall, »trauern um niemanden. Ich habe fast den Verdacht,
sie sind froh, daß Sir Thomas tot ist. Und Brampton! Und
Vechey! Mehr Geld, weniger Finger im Topf, einen
größeren Happen von der Beute für die, die
übrigbleiben. Was du da spürst, Bruder, ist die
menschliche Habgier! Schau dich nur um: Ein ganzes Meer davon
umwogt uns, egal, wo wir
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