Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Galerie der Nachtigallen

Die Galerie der Nachtigallen

Titel: Die Galerie der Nachtigallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
Vom Netzwerk:
hinauf und fragte sich, wo
Cranston sein mochte. Warum hatte er zwei Tage vergehen lassen?
Schmollte er - oder war er nur vom Trinken krank? Athelstan konnte
seine Pfarrei nicht einfach verlassen und in die Stadt gehen, aber
er hätte gern mit dem Coroner gesprochen und sich bei ihm
entschuldigt, weil er ihn zwei Abende zuvor so abrupt hatte sitzen
lassen. Er hatte es nicht mit Absicht getan; er war nur so
erschöpft gewesen, so müde der Springalls, der Morde, der
Täuschungen und Lügen. Er glaubte nicht, daß Vechey
und Brampton Selbstmord begangen hatten. Er vermutete, daß
auch Springall nicht von Brampton ermordet worden war. Die wahren
Mörder verbargen sich jetzt im Dunkel, lachten über ihn
und Cranston und glaubten, daß beide die Wahrheit niemals
herausfinden würden. Athelstan lächelte bitter. Wenn
Cranston seinen Verstand zusammennähme, würde er die
Schurken Lüge strafen.
    Er hörte ein
Geräusch und drehte sich um. Die Kirchentür öffnete
sich, und Crim, der kleine Schlingel, kam herein. Seine Mutter
hatte besondere Sorgfalt darauf verwandt, den Schmutz zumindest von
Händen und Gesicht abzuschrubben.
    »Guten Morgen,
Crim«, rief Athelstan ihm zu. »Komm her.« Er nahm
eine kleine Kerze und entzündete sie an der großen
Wachskerze, die vor dem Standbild der Madonna brannte.
    »Nimm das; wenn
ich jetzt durch die Straßen gehe, wirst du das Licht vor mir
hertragen. Und hier ...« Er trat hinter den Altar und holte
ein Glöckchen hervor. »Läute damit. Wenn dir die
Kerze ausgehen sollte, brauchst du keine Angst zu haben. Geh
einfach weiter und läute die Glocke. Du weißt, wohin wir
gehen?«
    Der Junge machte
große Augen und schüttelte den Kopf. »Zu Hob, dem
Totengräber.«
    »Oh. Der stirbt
aber, Vater.«
    »Ja, Crim, das
weiß ich. Und er muß mit Christus sterben; deshalb ist
es wichtig, daß wir ihn besuchen. Verstehst du das?«
    Der kleine Kerl nickte
feierlich. Athelstan nahm den Schlüssel vom Gürtel, stieg
unter dem rot flackernden Ewigen Licht die Stufen hinauf und
schloß das Tabernakel auf. Er nahm das Viatikum hervor, legte
es in einen kleinen Lederbeutel, den er sich um den Hals
hängte, und ging dann in die Sakristei, um den einzigen
Chorrock zu holen, den die Kirche besaß - ein verschossenes,
rotgoldenes Gewand, das den Heiligen Geist als Taube mit nur einem
Flügel zeigte, die verblichene Strahlen zu einem noch
verblicheneren Christus hinunterschickte. Athelstan legte sich den
Chormantel um die Schultern, befahl Crim, vorauszugehen, und beide
verließen die Kirche, gingen die Treppe hinunter und in das
Labyrinth der Gassen von Southwark. Athelstan war immer wieder
überrascht ob der Wirkung, die sein Erscheinen hatte. Hier war
er in einer Gegend, in der man für ein paar Kupfermünzen
umgebracht werden konnte, aber beim Anblick der brennenden Kerze,
beim Klang des kleinen Glöckchens und beim Erscheinen seines
Chormantels neigten sich selbst die rohesten unter den Männern
und Frauen vor den großen Mysterien, die er trug.
    Hobs Behausung war
eine finstere Hütte mit Lehmboden, in drei Kammern aufgeteilt;
in der einen schliefen Hob und seine Frau, in der zweiten seine
vier Kinder, und in der dritten wurde gekocht und gegessen. Die
Hütte war ärmlich, aber sauber gefegt; ein paar
Zinntöpfe und Pfannen, in kochendem Wasser geschrubbt, hingen
an Nägeln an der Wand. Ganz hinten in der Hütte lag Hob
auf seinem Bett. Sein Gesicht war bleich und Blut schäumte rot
auf seinen Lippen. Athelstan segnete den Mann, hielt seine Hand und
tröstete seine brave Frau: Alles werde wieder gut werden.
Dabei bemühte er sich, nicht das Blut anzusehen. Er gab dem
Mann die Sterbesakramente, segnete ihn und salbte ihn an Kopf,
Brust, Händen und Füßen. Dann sprach er ein paar
Worte mit Hobs Frau, während die Kinder um sie herum am Boden
kauerten; er versprach, ihr zu helfen, und ging dann, den
Chormantel immer noch um die Schultern gelegt, leise hinaus. Auf
dem Rückweg zur Kirche hüpfte Crim vor ihm auf und
ab.
    Der Rattenfänger
Ranulf erwartete ihn vor der Tür, einen friedlichen,
gutgenährten Bonaventura auf dem Arm. Er wartete, bis
Athelstan den schwarzen Beutel wieder ins Tabernakel gelegt hatte
und als Crim seinen Penny genommen hatte und wie der Wind
davongejagt war, setzte er den Kater auf den Boden und kam zu
Athelstan.
    »Er hat hier
gewartet, Pater. Aber wollt Ihr ihn nicht
verkaufen?«
    Athelstan
lächelte. »Wenn du ihn haben willst, Ranulf, ist er
dein. Aber ich bezweifle, daß

Weitere Kostenlose Bücher