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Die Galerie der Nachtigallen

Die Galerie der Nachtigallen

Titel: Die Galerie der Nachtigallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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Athelstan eine Hand auf den
Arm.
    »Das Turnier
fängt an, Bruder«, sagte er. »Sieh nur aufmerksam
zu. Vielleicht lernst du noch was übers Kämpfen.«
Unter gellenden Trompetenstößen wurden die Banner
gesenkt, und hinter den Pavillons kam eine Prozession hervor,
angeführt von Pagen in engen Steppjacken, bunten Kniehosen und
prächtigen Federhüten. Sie trugen große bemalte
Leinwände mit Szenen aus der Bibel und der klassischen
Überlieferung: Herkules im Kampf mit der Python, der Tod
Hektors, die Belagerung von Troja, Samson unter den Philistern und
die Schlange im Garten Eden. Jedem Turnier ging ein solches Tableau
voraus. Es folgten Musikanten mit Trommel, Pfeife und Viola.
Dahinter kamen Knappen und weitere Pagen und schließlich die
Ritter selbst. Sie hatten ihre Rüstungen noch nicht angelegt,
und ihre Farben wehten ihnen voraus. Die Prozession zog sich um den
Turnierplatz herum, und die Ritter und ihr Gefolge nahmen Beifall
und Jubel der Menge entgegen.
    Athelstan sah eines
der Gemälde, eine Szene aus dem Buch Genesis, etwas genauer
an. Dabei fiel ihm etwas ein, das er im Hause Springall gesehen
hatte, und er schnappte nach Luft. Der Lärm um ihn herum
verklang: Er sah nur noch die roh bemalte Leinwand, die zwei Pagen
an ihm vorübertrugen. Natürlich! Sein Magen drehte sich
vor Aufregung fast um. Er packte Cranston am Arm.
    »Die Bilder! Die
Leinwandgemälde!« flüsterte er heiser. Cranston sah
ihn mit trüben Augen an.
    »Die
Gemälde, Sir John, im Hause Springall. Die bemalten
Leinwände an den Wänden! Bei unserem ersten Besuch waren
sie wegen des Trauerfalles schwarz verhängt. Erinnert Ihr Euch
denn nicht? Genesis, Kapitel 3, Vers 1: die Schlange im Garten
Eden! So ein Gemälde war auch in einer der Galerien in
Springalls Haus. Vielleicht war es das, was Sir Thomas
meinte?«
    Cranston blinzelte.
Nachdem er sich vergewissert hatte, daß seine Frau nicht
herschaute, zog er einen Weinschlauch unter seinem Umhang hervor
und nahm einen tiefen Schluck.
    »Ich bin hier,
um mich zu unterhalten, Mann!« Aber während er den
Stopfen wieder in den Schlauch drückte, dämmerte ihm, was
Athelstan gerade gesagt hatte. »Mein Gott, natürlich, du
hast recht! Die Bilder, die drei Rätsel ... vielleicht
enthalten sie das Geheimnis!«
    Athelstan wagte nicht,
ihm zu erzählen, daß er eines bereits gelöst
hatte.
    »Was wollen wir
tun?« fragte Cranston leise.
    »Sofort
gehen«, schlug Athelstan vor.
    »Aber wir sind
hier als John von Gaunts Gäste. Ich kenne den Herzog. Wenn wir
gehen, schickt er einen naseweisen Knappen oder Büttel hinter
uns her.«
    »Aber jetzt ist
die beste Gelegenheit«, erwiderte Athelstan, rückte noch
näher und flüsterte Sir John ins Ohr; er sah, daß
Lady Maude völlig versunken die Parade verfolgte, während
Benedicta sich immer noch ablenken ließ und die bewundernden
Blicke des Grafen inzwischen erwiderte. »Sir John, das Haus
Springall ist jetzt leer. Laßt uns das Eisen schmieden,
solange es heiß ist.«
    Cranston schien
ablehnen zu wollen, aber dann besann er sich. »Komm
mit«, sagte er.
    Er sprach
flüsternd ein paar Worte mit seiner Frau und watschelte dann
mit Athelstan im Schlepptau davon; sie drängten sich durch die
Menge zur königlichen Loge. Ritterliche Bannerherren des
Königshofes hielten sie auf, aber Cranston murmelte ihnen ein
paar Worte zu, und man ließ ihn passieren. Athelstan indessen
mußte außerhalb des schützenden Kreises aus Stahl
stehenbleiben und zusehen, wie Cranston sich am Fuße der
Treppe verneigte und dann das Knie beugte. Er sah sich um. Die
prächtige Prozession zog noch immer um den Turnierplatz herum.
John von Gaunt kam lachend die Treppe herunter. Er klopfte Cranston
auf die Schulter, hieß ihn aufstehen und flüsterte ihm
etwas ins Ohr. Der Coroner gab Antwort. Hinter Gaunt stand
Oberrichter Fortescue und betrachtete die beiden wie ein
wütender Falke. John von Gaunt hob unvermittelt den Blick und
starrte Athelstan an wie eine hungrige Katze, mit harten, gelben
Augen, und ohne mit der Wimper zu zucken. Er nickte und murmelte
Fortescue über die Schulter hinweg etwas zu, und dann sagte er
noch ein paar Worte zu Cranston. Der Coroner verneigte sich und
ging. Athelstan warf einen Blick nach links, wo die Familie
Springall saß. Überraschenderweise schien sich niemand
für Sir Johns Unterhaltung mit dem Regenten zu
interessieren.
    Cranston sagte auch so
lange nichts, bis sie die königliche Loge ein gutes Stück
hinter sich gelassen

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