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Die Galerie der Nachtigallen

Die Galerie der Nachtigallen

Titel: Die Galerie der Nachtigallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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in der Küche auftreiben
ließe.      
    Er folgte Athelstan,
als der Bruder von einem Gemälde zum nächsten schritt.
Cranston wußte überraschend gut Bescheid über die
Bilder, die sie hier untersuchten. Einige, behauptete er, seien
Werke eines gewissen Edward Prince, eines Malers, der im Norden der
Stadt wohne. Athelstan hörte Cranstons Geplauder nur mit
halbem Ohr zu und versuchte sich zu erinnern, wo er das
Gemälde der Eva im Garten Eden, die von der Schlange bezaubert
wird, gesehen hatte. Schließlich fiel ihm ein, daß es
nicht in der Galerie der Nachtigall gewesen war, sondern in der,
die nach links führte.
    Gefolgt von Cranston,
der inzwischen schwankte, stieg Athelstan in den zweiten Stock
hinauf und nahm dort die große, bemalte Leinwand von der
Wand. Er fluchte. Offensichtlich hatte auch jemand anders erkannt,
daß dieses Gemälde den Schlüssel zu Sir
Thomas’ Geheimnis enthalten könnte. Das Holz an der
Rückseite trug tiefe Spuren einer Dolchklinge, als hätte
jemand nach einem verborgenen Spalt oder Fach gesucht. Aber da war
nichts.
    »Es hat keinen
Sinn, Bruder«, murmelte Cranston und schenkte sich noch einen
Becher Roten ein. »Alles für die Katz, verdammt! Hier
ist nichts. Und was ist mit den beiden anderen? Der Tod mit dem
fahlen Pferd in der Apokalypse und der Schuhmacher? Wir
verschwenden hier nur unsere Zeit.«
    Athelstan befahl dem
Coroner, sich auf den Boden zu setzen und anzulehnen; dann kauerte
er sich neben ihn und erzählte leise, was er herausgefunden
hatte: daß die Holzschnitzereien für den
Krönungsprunkwagen vielleicht einen Hinweis auf die
Identität des Mörders barg. Cranston hörte ihm trotz
seines Rausches bis zum Ende zu und polterte dann in
rechtschaffener Empörung: »Wieso hast du mir das nicht
früher erzählt? Das klingt vernünftig. Und
möglich. Aber warum hast du nichts gesagt?«
    Athelstan fand nichts
so komisch wie Cranston, wenn er die empörte Tugend spielte,
und so ließ er den Coroner weiterknurren, bis der mit seiner
Litanei am Ende war. Unterdessen hob er das Gemälde wieder an
seinen Platz. Dann wanderte er von Zimmer zu Zimmern, von Korridor
zu Korridor und suchte nach Bildern, die vielleicht auf den Vers
aus der Geheimen Offenbarung passen würden. Cranston schwankte
hinter ihm her, den Weinbecher in der einen Hand, den Krug in der
anderen. Sie fanden nichts. Manche Räume waren freilich
verschlossen: die von Sir Richard und Lady Isabellazum Beispiel.
Als Cranston durch die Galerie der Nachtigall taumelte, schien das
ganze Haus vor Gezwitscher förmlich zu beben. Sir
Thomas’ Gemach, leer bis auf Bett, Tisch und ein paar andere
Möbel, stand überraschenderweise offen. Cranston sah sich
um. Auch hier gab es kein Gemälde. Die Wände waren kahl.
Athelstan trat ans Fenster, und sein Blick fiel auf den
Schachtisch. »Wißt Ihr, Sir John«, sagte er,
»wenn wir heute nachmittag nichts finden, dann sollten wir
auf Mord und Selbstmord befinden, unser Urteil zu den Akten geben
und die Sache auf sich beruhen lassen; wir kommen nicht
vorwärts.« Hinter ihm krachte es laut. Cranston hatte
Weinkrug und Becher neben das Bett gestellt, war
hintenübergekippt und lächelte selig die Zimmerdecke an.
Er war fest eingeschlafen. Athelstan seufzte, ging hinüber und
drückte Sir Johns Körpermassen unter großen
Anstrengungen in eine bequemere Lage. Dann setzte er sich neben ihn
auf die Bettkante. Er hatte weder Schreibtablett noch sonstiges
Werkzeug mitgebracht, und so ging er im Geiste die Todesfälle
durch, die sie untersucht hatten, und versuchte, ein allen
gemeinsames Muster zu finden, doch mit wenig Erfolg. Cranston
schnarchte sanft wie ein Kind, murmelte hin und wieder etwas und
schmatzte. Athelstan grinste, als er die Worte
»Erfrischungen!« und »Ein paar Becher vom
spanischen Weißen!« vernahm. Sir John rülpste
geräuschvoll, rollte sich auf die Seite und wäre vom Bett
gefallen, hätte Athelstan nicht zugegriffen. Athelstan
ließ den Coroner schlummern. Warum auch nicht?
Schließlich gab es nur ein Gemälde, das zu den
Rätseln paßte, und das offenbarte ihnen nichts. Seine
Gedanken wanderten zu Benedicta. Ob sie ihn vermißte? Warum
hatte sie sich so leicht auf ein Gespräch mit diesem Edelmann eingelassen?
Ob alle Frauen so waren? Hatte er überhaupt recht daran getan,
sie einzuladen?
    Er griff nach dem
Weinbecher, nahm einen kleinen Schluck und starrte auf die dicken
hölzernen Bettpfosten. Er begann zu dösen und wäre
fast eingeschlafen, als er

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