Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
hefteten sich auf die Tür, durch die Harper und Sybil verschwunden waren. »Wie eine Ziegelsteinmauer.«
»Na gut«, seufzte Rachel, wandte sich wieder der Karte zu und spielte mit einer Handvoll Nadeln. »Machen Sie sich nicht so viele Gedanken. Vielleicht ist Ihre Gabe, in anderen Menschen zu lesen, gar nicht so perfekt, wie Sie glauben.«
»Ich habe nie behauptet, es wäre perfekt.«
»Wenn Sie wissen, daß es nicht perfekt ist, weshalb sind Sie dann wegen Harper so besorgt?«
»Ich habe nicht gesagt, daß ich besorgt bin«, protestierte er. »Ich habe lediglich gesagt, daß ich mich bei ihm unwohl fühle.«
»Ich dachte, es gehört zu Ihrem Beruf, sich bei jedem Menschen unwohl zu fühlen.«
»In letzter Zeit«, seufzte er und lächelte halbherzig, »ist das allerdings sehr wahr.«
»In letzter Zeit?«
Er fuhr sich durch das blonde Haar und schwieg für geraume Zeit, als kämpfe er innerlich, was er zugeben durfte und was nicht. »Das letzte Mal, als meine ›Instinkte‹ so laut aufgeschrien haben, hat mich jemand betrogen, dem ich zutiefst vertraut habe.«
Die tiefe Traurigkeit in seiner Stimme ließ sie erahnen, wovon er sprach. »Wer? Wann?«
Seine Augen verengten sich vor Schmerz, und seine Nasenflügel blähten sich. »Vor zwei Monaten.«
»Zur gleichen Zeit, als die Frau, die Sie …«
»Ja«, flüsterte er und wandte sich abrupt vom Tisch ab.
»Warten Sie.« Sie packte seine Hand, um ihn aufzuhalten. Die Knochen seiner Finger fühlten sich groß und hart an, doch seine Augen wirkten sehr verletzlich. »Jeremiel, erzählen Sie mir mehr. Harper wird der einzige Freund meiner Tochter sein, wenn ich fort bin. Falls ich Zweifel an seiner …«
»Nein.« Er stieß die Luft aus und schaute auf ihre Finger, die die seinen umklammerten. Seine Augen glitten forschend über ihr Gesicht. »Ich bin nicht sicher, ob meine ›Instinkte‹ zuverlässig sind. Die Schlacht im Akiba System ist noch zu nah. Also machen Sie sich keine Sorgen.«
»Ich mache mir aber Sorgen«, erwiderte sie und gab seine Hand frei. »Es mag richtig sein oder auch nicht, doch irgend etwas in meinem Innern rät mir, Ihren verdammten Instinkten zu vertrauen.«
»Tatsächlich? Und was ist mit den Bedenken, die ich wegen Ihrer Teilnahme an dieser Mission hatte?«
»Ich dachte, wir hätten bereits klargestellt, daß Sie nicht perfekt sind.«
»Ach ja, das hatte ich vergessen.«
Er schenkte ihr ein nervöses Lächeln, und sie merkte, daß sie sich plötzlich und ohne offensichtlichen Grund aufrichtete und die Muskeln spannte, während ihr Herz heftig zu klopfen begann.
Er bemerkte ihre plötzlich steife Haltung. »Stimmt etwas nicht?«
»Ich … ich möchte Ihnen nicht vertrauen.«
»Das kann ich gut verstehen. Sie können meine Schwächen nur vermuten. Ich aber kenne sie.«
Zögernd berührte er ihre Schulter und zog dann die Hand zurück, als hätte er sich verbrannt. Stirnrunzelnd beugte er sich über die Karten. »Gehen wir wieder an die Arbeit. Uns bleiben nur noch ein paar Tage. Was halten Sie von …«
Er sprach weiter, doch Rachel hörte ihn kaum. Seine Stimme klang plötzlich sanft, zärtlich und ein wenig ängstlich. Sie schreckte vor den Gefühlen zurück, die diese Stimme ausdrückte. Doch während die Zeit verstrich, sah sie sich plötzlich in Gedanken zusammen mit Shadrach im Schlafzimmer, wo Liebe und Vertrauen herrschten. Und jetzt faßte sie ungeachtet ihrer Instinkte auch Vertrauen zu Jeremiel.
»Ich glaube, es wäre besser«, antwortete sie halb unbewußt auf seine Frage, »wenn wir die Geschützstellungen hier einrichten.« Sie lehnte sich neben ihm über den Tisch und war sich seiner Nähe intensiv bewußt, als sie auf einen hochgelegenen Punkt in den Felsen zeigte. »Nur weiß ich nicht, wie wir die Kanone dort hinschaffen sollen. Man kann das Gelände meilenweit einsehen.«
Sein Blick suchte den ihren. »Machen Sie sich deswegen keine Sorgen. Ich habe eine Karte der Höhlen, die sich unter und rings um Seir erstrecken. Wir werden die Waffe schon dort hinbekommen.«
»Es gibt Höhlen unterhalb von Seir?«
»Tausende.«
»Gelangen wir auf diesem Weg in die Stadt?«
»Ja. Warum kommen Sie nicht später in mein Zimmer, dann zeige ich Ihnen …« Als hätte er die intime Doppelsinnigkeit seine Worte bemerkt, unterbrach er sich. »Ich meine, wir sollten die beste Route mit Rathanial besprechen. Warum treffen wir uns nicht alle drei nach dem Abendessen in meinem Zimmer?«
»In Ordnung.«
Ihr Blick
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