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Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan

Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan

Titel: Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen M. O'Neal
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herzliche Anteilnahme darin. Doch manchmal konnten Menschen auch so aussehen, nur weil sie es so wollten, und ohne es ernst zu meinen. »Warum machst du dir auch Sorgen?« fragte Sybil argwöhnisch.
    Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und überlegte, bevor er leise antwortete: »Weil sie in diesem Krieg die schwerste Aufgabe von allen hat. Sie muß dem Mashiah jeden Tag gegenübertreten. Und ich bin nicht sicher, ob sie das kann.«
    »Meine Mommy kann alles«, verteidigte Sybil ihre Mutter, schlug dabei jedoch die Augen nieder. Konnte ihre Mom das ertragen? Es würde sehr schwer werden.
    »Komm her«, sagte Avel sanft und breitete die Arme aus. Sybil kletterte zögernd von ihrem Stuhl und auf seinen Schoß. Er barg sie in den Armen und küßte ihre braunen Locken.
    »Nun, es ist so«, flüsterte er, »wenn deine Mutter den Mashiah für ein paar Wochen ertragen kann, dann wird bald niemand mehr unter ihm leiden müssen.«
    »Ich weiß.«
    »Das weißt du?«
    »Ja. Denn wenn Mommy ihn tötet, werden die Menschen wieder frei sein, so wie damals, als ich klein war und er in Lumpen durch die Stadt lief und verrückte Reden hielt.«
    »Du kannst dich noch daran erinnern?«
    »Nicht besonders gut. Ich war damals erst fünf, aber meine Mommy hat mir eine Menge darüber erzählt.«
    Er zog sie eng an seine Brust. »Damals war das Leben noch schön, nicht wahr?«
    Sie rieb sich mit der Hand über die Nase. »Es war sogar vor einem Jahr noch schön. Mein Daddy … mein Daddy spielte damals oft mit mir. Er hat mir geholfen, Burgen aus nassem Sand zu bauen. Für die Dächer und die Stützpfeiler haben wir Unkraut genommen. Und meine Mommy hat uns dann immer hereingerufen und gesagt, wir müßten zuerst baden, bevor wir uns zum Essen an den Tisch setzen dürften.«
    »Alles wird bald wieder wie damals sein. Nur …«
    »Nur daß mein Daddy tot ist.« Sie blickte streng zu ihm auf. Noch immer glitzerte Schweiß auf seiner flachen Nase, doch seine Augen strahlten Ruhe aus. »Der Mashiah hat ihn getötet.«
    »Deine Mutter hat es mir erzählt. Das ist einer der Gründe, warum sie in den Palast geht«, flüsterte er. »Wußtest du das?«
    Sybil schaute um seinen Arm herum zu ihrer Mutter hinüber. Sie deutete gerade auf eine Gruppe blauer Nadeln, die in der Karte steckten. Sybil konzentrierte sich auf ihre Worte und hörte, wie sie sagte: »Dieser Abhang ist zu steil für Truppen. Sie werden es niemals schaffen, schnell genug dort hinaufzuklettern.«
    Jeremiel runzelte nachdenklich die Stirn und zeigte auf eine andere Stelle. »Hm. Und wie wäre es hier drüben?«
    »Das geht genausowenig. Dort gibt es ein ganzes Feld kleinerer Felsen, die auf der Karte nicht eingezeichnet sind. Die Männer würden doppelt solange brauchen, um …«
    Sybil verkroch sich wieder in Harpers kräftigen Armen. Was wäre, wenn ihre Mutter auch noch sterben würde? An jenem Tag auf dem Platz, als die Sonne ihr Gesicht verbrannte und ihre Kehle nach Wasser lechzte, hatte sie die Mütter von einem Dutzend kleiner Mädchen sterben sehen. Und sie war auch schon auf Beerdigungen gewesen. Sie hatte sich an das Bein ihres Vaters geklammert, während sie zuschauten, wie Männer mit Gebetsschals schwarze Särge durch die Straßen trugen, und sie hatte gehört, wie ihre kleinen Freunde voller Schmerz schluchzten. Sie liebte ihre Mutter so sehr, daß der Gedanke an ihren Tod ihr wie ein großes schwarzes Tuch erschien, das sie einzuhüllen drohte.
    »Avel«, keuchte sie angsterfüllt und umklammerte den Stoff seiner Robe mit ihren kleinen Fäusten. »Meine Mommy wird doch nicht sterben, nicht wahr?«
    Stille senkte sich über den Raum. Auch an dem langen Tisch, wo Jeremiel und ihre Mutter arbeiteten, war es plötzlich ruhig. Hatte sie so laut gesprochen? Sie wollte hinüberschauen, fürchtete sich aber zugleich davor. Statt dessen hielt sie ihren Blick fest auf Avels weiches, mahagonifarbenes Gesicht gerichtet.
    Er schaukelte sie sanft vor und zurück und runzelte die Stirn, bis er schließlich in überzeugendem Tonfall sagte: »Nein, Sybil, das glaube ich nicht. Deine Mutter …«
    »Deine Mutter«, rief Jeremiel, »ist viel zu boshaft, um zu sterben.«
    Sybil richtete sich auf, um zu ihm hinüberzuschauen, doch ihr Zorn schwand, als sie sah, wie ihre Mutter lachte und ihn mit einem Stück Papier bewarf. Wärme erfüllte ihre Brust. Es war lange her, seit sie ihre Mutter hatte lachen hören. Ein Schauer der Erleichterung überlief sie. Vielleicht würde endlich

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