Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
wanderte über die Linien, die sich um seine Augen vertieften.
Avel Harper führte Sybil schnell zu einer benachbarten Kammer. »Kannst du deine Bücher und die anderen Dinge in den Schrank legen, während ich meinen Rucksack hole? Auf die Art haben wir eine Möglichkeit, den Sand und die Stöcke unterzubringen.«
Sybil wischte sich die Nase. »In Ordnung.«
»Warte hier auf mich. Ich bin gleich zurück.«
Sie nickte und brachte die Bücher zu dem Wandschrank, der aus dem Gestein herausgehauen worden war.
Harper huschte aus der Höhle, überprüfte den Korridor auf etwaige Beobachter und schlich dann lautlos an der Wand entlang bis zu dem Raum, in dem sich Jeremiel und Rachel unterhielten. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, als er ihrem Gespräch lauschte, das sich um ihn drehte – und um die Höhlen unter dem Palast.
KAPITEL
22
Kiefern ragten wie schwarze Speere vor dem düsteren Abendhimmel auf, als Sarah über den gewundenen Gebirgspfad marschierte. Komm allein, hatten sie gesagt. Allein und unbewaffnet. Hohe zimtfarbene Hänge ragten rings um sie auf. Das Zwielicht setzte in diesen tiefen Schluchten schon früh ein, und die Dunkelheit vertiefte die Risse in den Felsen, während die letzten Sonnenstrahlen die Lavendelblätter oben auf den Hügelspitzen umspielten. Sie hielt einen Moment an, um zu verschnaufen, und beobachtete besorgt, wie schmal der helle Streifen über ihrem Kopf geworden war. Wie lange hatte sie gebraucht? Drei Stunden? Vielleicht sogar vier, wenn man bedachte, bis zu welcher Höhe sie hinaufgeklettert war? Heute Nacht würde sie es auf keinen Fall mehr zurück zu ihrem eigenen Lager am Fuß des Berges schaffen. Leise Furcht beschlich sie, als sie daran dachte, daß sie die Nacht im Lager der Anführer der planetaren Revolte verbringen würde – sofern man ihr das noch erlaubte, nachdem sie berichtet hatte, weshalb sie gekommen war.
Sie hob den Saum ihrer mintfarbenen Robe hoch und schlüpfte an einem scharfkantigen Felsbrocken vorbei. Eine leise Stimme brachte sie zum Stehen.
»Ihr Name?«
»Sarah Calas.«
Sie wartete, ohne sich zu rühren und mit starr geradeaus gerichteten Augen. Mochten sie ruhig glauben, daß sie vor Schreck erstarrt war. Das Scharren von Stiefeln auf Stein drang zu ihr herüber, zusammen mit dem Duft von Kiefern, den der Wind durch die Schlucht trug.
Einen Augenblick später berührte eine Hand leicht ihre Schulter und sie drehte sich um. Ein kleiner, untersetzter Mann mit einer runden Nase und einem wildwuchernden schwarzen Bart musterte sie aus zusammengekniffenen bernsteinfarbenen Augen von Kopf bis Fuß. Sie schätzte sein Alter auf etwa vierzig. Seine graue Kleidung und die sonderbare Pistole, die in seinem Gürtel steckte, verschmolzen im schwächer werdenden Licht, bis er mit den Schatten eins zu werden schien.
»Wo sind die anderen?«
»Ein paar wollten nicht kommen«, antwortete er fröhlich, als würden er deren Gründe verstehen und sogar gutheißen. Er schnaubte, während er sie abermals von oben bis unten betrachtete. »Nehmen Sie es ihnen nicht übel. Sie sind wirklich ein merkwürdiger ›Führer‹ der gamantischen Zivilisation.«
Seine Kiefernmuskeln zuckten, als sie eine Braue hochzog. »Von Ihnen bin ich auch nicht gerade beeindruckt, Mister … Mister …?«
»Shem Kowitz.«
»Beeilen wir uns. Wo ist Ihr Lager?«
Er streckte den Arm in Richtung Pfad aus und deutete eine Verbeugung an, während eine Spur von Erheiterung in seinen Augen schimmerte. Sarah schlüpfte an ihm vorbei und stieg den schmalen Engpaß hinauf, wobei sie ihr Übergewicht verfluchte, das ihre Beine vor Müdigkeit zittern ließ. Nach Mikaels Geburt hatte sie es nicht geschafft, die zwanzig Pfund loszuwerden, die ihr Bauch und ihre Oberschenkel angesetzt. Jetzt plötzlich störte es sie mehr als je zuvor. Hübsche Frauen gewannen wenn schon nicht den Respekt, so doch immerhin die Aufmerksamkeit eines Mannes. Doch eine Frau, die nichts als pummelig war, mußte sich beides erst mühsam erarbeiten.
Während sie sich durch eine Reihe von Kiefernwäldchen zwängten, bemerkte Sarah ein schwaches Leuchten in der Ferne. Schwarze Gestalten bewegten sich geschmeidig vor dem goldenen Glühen. Und plötzlich entdeckte sie, daß überall um sie herum Wachen postiert waren, manche auf den Hügelspitzen, andere längs des Wegs. Viele hockten in den Bäumen, von wo aus sie die ganze Schlucht im Blick hatten.
»Wie viele sind gekommen, Mr. Kowitz?«
»Drei
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